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610 Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. Staat und Leben zu widmen, der allein das Glück und Heil der Menschheit bewirken könne. Ihre politischen Aufsähe, sowie der bekannte, im Aufträge ihres Gemahls verfaßte, Brief an den König sind unmittelbare Ergüsse einer für Freiheit, Vaterland und Wiedergeburt des Menschengeschlechts begeisterten Seele. Wie edel, rein und lauter diese Seele war. wie fern von aller Eitelkeit und aller Beziehung nach Außen, geht aus ihrer erst im Jahr 1841 bekannt gewordenen Correspondenz mit ihrer Jugendfreundin hervor. Und als sie aus ihrem Traum erwachte und im Namen derselben Freiheit, die ihr theuerstcs Gut war, in den Kerker geführt wurde, um ihn »ach einiger Zeit mit dem Schaffst zu vertausche», da bewies sie, welche Ruhe, Kraft und Große in einem weiblichen, von idealen Bestrebungen erfüllten Herzen wohne, indem sie hier im Angesicht des Todes ihre interessanten Denkwürdigkeiten, ihre „Berufung auf die Nachwelt" verfaßte und, fürchtend, die erste Handschrift möchte verloren sein, kurz vor ihrer Hinrichtung das ganze Buch zum zweitenmal schrieb. Die politischen Ansichten und das Schicksal der Frau Roland und ihrer Partei, aber nicht die schriftstellerischen Eigenschaften derselben theilt der Marquis Condorcet, Mitglied der französischen Akademie und fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiete der Philosophie, der Politik und der schönen Literatur. Durch seine Ueberzeugung und sein warmes Gefühl für Menschenwohl und Menschen würde in den Strudel der Revolution und zu republikanischen Ansichten geführt, bewahrte er in seinen Schriften doch stets das Gepräge der früheren klassischen Bildung und schrieb „im Geiste des rechnenden und berechneten Enthusiasmus der encyclopädischen Schule". Condorcet „stützte sich in seinen Schriften auf eine Reihe wissenschaftlicher Theorien, um darzuthun, daß das menschliche Geschlecht einer ins Unendliche gehenden Vervollkommnung fähig sei. Er gehörte zu der Zahl derjenigen, welche von einem fortdauernden Fortschreitcn menschlicher Weisheit, Gerechtigkeit, Glückseligkeit mitten unter den Gräueln und Grausam keiten der damaligen demagogischen Gewalthaber träumten". Indem er aber dieses stete Fortschreiten und Verändern, wenn auch zum Bessern und Vollkom meneren, als oberstes Prinzip hinstellte, mußte er nothwendig zur Verneinung und Bekämpfung alles Positiven und Bestehenden kommen. In den Sturz der Gironde verflochten, fand er bei einer großmnthigen Freundin ein Asyl und schrieb daselbst die treffliche Schrift: üsquisss dun tableau lnstorikzne des xro^ros de l'osxrit Irninain. Sein tragisches Ende haben wir früher kennen gelernt jXIII, 900). Condorcets Geistes- und Gesinnungsgenosse war der ge- i^rte K. Fr. Dupuis, der in seinem berühmten Buche: OriAins de tons leg oultes ou reli^ion universelle die alten Mythen durch die Astronomie zu erklären und die Religion mit der sreigeistigen Philosophie der Revolution zu durchdringen suchte, während ein anderer Genosse, der Arzt und Physiker 1757-18^ ba n i s, Condorcet's Schwager, das ganze Geistes- und Seelenleben des Men schen auf die Nerven zurücksührte. Aus der Beobachtung des lebendigen Men-