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906 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. nicht an Anzeichen dafür, daß diese von den historischen Gelehrten geübte Zu rückhaltung, wie zweifellos im Interesse der Wissenschaft, so auch in demjenigen des öffentlichen Lebens selbst willkommen geheißen werden mußte, da jene für Be- urtheilung des letzteren vielfach einen ganz unzureichenden Maßstab mitgcbracht hätten. Mit Niebnhr's Forschungen fängt ohne Frage die neuere Wissenschaft von der Geschichte Roms an. Er selbst war durch diese Studien gewöhnt wor den. seine Forderungen an die Zeit so sehr immer nur von Rom zu abstrahiren, daß er in seinem conservativen Eigensinn nicht einmal für das Verlangen der Zeitgenossen nach constitutionellen Staatsformen Verständlich und Anerkennung zu finden wußte. Als Hauptbegründer aber der neuen, auch von Niebuhr vertretenen Rechtsschule, ist Savigny zu nennen, ein umfassender Geist, durch welchen ein ganz neuer Aufschwung und zugleich Eleganz und elastische Klar heit in die Rechtswissenschaft kam. Gleich oppositionell gegen Haller's brutale Machtthcorie wie gegen den liberalen Rationalismus der unmittelbaren Vergan genheit, theilte doch auch er in der Hauptsache die Stimmung der gelehrten Zeit- genossen, indem er seiner Gegenwart in einem berühmt gewordenen Nerdict jedweden Beruf zur Gesetzgebung absprach. Wie Niebuhr ein Gegner der Ver fassung, so war Savigny ein Gegner einheitlicher Gesetzgebung. Beide wollten ihre nach der ständischen Schule strebende Generation lieber in der Vorschule der Gemeindeordnung festgehaltcn sehen. Nichts sollte hinfort mehr auf dem Gebiete des Staats- und Rechtslebcns aus Prinzipien construirt, Alles sollte in seinem organischen Wachsthum, als Produkt innerlich bildender Volkskräfte, wie man sich beschönigend ausdrückte, begriffen und erhalten werden. Daher sich die neue Schule vorzugsweise den Namen der historischen beilegte. Es sollte damit der Sinn für das Positive und Traditionelle ausgedrückt werden, welchen die unmit telbare Vergangenheit, die Revolutionszeit, gänzlich verloren hatte. Wie aber schon ihren bahnbrechenden genialen Häuptern die Gegenwart eigentlich nicht mehr zur Geschichte gehörte, so wurde der Name „Historisch" bald das Schlag- und Losungswort, welches auf der ganzen Linie des Rückschrittes erscholl, und worunter man eben jenes Zurückgrcife» und Anknüpfen an frühere Zustände, was man von der Romantik gelernt hatte, jene entschiedene Ablehnung aller mit der französischen Revolution in Zusammenhang stehenden oder aus ihr geborenen Ideen verstand. Es ist kein Wunder, daß auch kräftigere und gediegenere Geister dem lockenden Zauber der rückläufigen Bestrebungen bald nicht mehr widerstehen konnten, wenn doch selbst bei den Altmeistern der Wissenschaft der gesunde Sinn für Freiheit und Vaterland so vielfach verkümmert war, ja wenn geradezu von allen Seiten Alles, was im Rufe des Geistes und der Gelehrsamkeit stand, nach derselben Richtung drängte. Zu diesen rückwärts treibenden Mächten gehörte vor Allem die Philosophie selbst, sowohl wie sie niit Hegel Staatsphilofophie geworden war und es mit Schelling gern wieder geworden wäre, als auch in mehr secundären Schulbildungen, wie in derjenigen Herbart's. Im klebrigen