Volltext Seite (XML)
902 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. eill. Tief verstimmt über den auf kirchlichem Gebiete sich einstellenden Knechtssinn, dessen erstes Aufkcimcn er doch nur erleben sollte, war er damals nahe daran, sich ganz von der Kirche und ihren unheilbaren Nebeln zurückzuziehen Und auf solche Weise selbst scholl denjenigen Verzweiflungsact zu begehen, zu welchem danll innerhalb der nächsten vierzig Jahre so viele, von der um sich greifenden byzantinischen Fäulnis angewiderte Geister sich durch die Noth der Zeit gedrängt sahen. Wildem Man darf, um eine Musterkarte der verschiedenen Richtungen der gleichzeitigen «eb-r-cht Theologie zu gewinnen, nur die Collegen Schleiermacher's in der theologischen Facultät 1780—isui. ä" Berlin betrachten. Gleich bei der Gründung der Universität war De Wette aus Heidelberg dahin berufen, in der Folge aber wegen eines Trostschreibens an die Mutter Karl Ludwig Sand's, welches man dem Könige als eine Entschuldigung des Mordes darzustellrn gewußt hatte, entlasten worden. Er hat später eine langjährige und um fassende Wirksamkeit in Basel entfaltet. Wir haben ihn bereits als systematischen Theologen in der Nachfolge von Fries angctroffen (S. 870s. Hier vertritt er eine, auf das nothwelldigc Verhöltniß von Idee und Symbol gegründete, Unterscheidung der rein Verständigen, rationalistischen und der ästhetischen, gläubigen Ansicht vom Christen thum, kraft welcher er in den Dogmen der Kirche zwar keine verständige Weltansicht, aber „eine nothwendige heilige Poesie als das Gemeingefühl der Kirche vermittelnd" nachzuweiseN vermochte. Seinen eigentlichen Ruhm aber verdankte er dem kritischen Forschergeist, womit er das hebräische Alterthum behandelte, ganz besonders seinen verdienstvollen Lehr- und Handbüchern der biblischen Einleitung Nnd Exegese, welche Nicht blvs Muster compendiöser Bearbeitung eines massenhaften Stoffes, sondern auch einen treücn Spregrl drs kritischen Prozesses darstellen, soweit derselbe sich in den vier erstell Dcrenniell des Jahrhunderts vollzogen hat. Koma? Ein 2ahr nach De Wette wurde auch Marheinckc als Professor und Pfarrer Marh-mm. nach Berlin berufen. In letzterer Eigenschaft Schleiermacher's College an der Dreifal- U8o—184«. bildete er in der Theorie dm direkten Gegensatz zu ihm. Ein strenger Schüler Hegel's theiltc er vor Allem die theologischen Restaurationstcndcnzcn des Mei sters und verkündigte mit hohepriestcrlichcr Würde namentlich ein nach der Methode des absoluten Idealismus modernistrtes Trinitätsdogma. Aber auch der Jurist Karl FrkdnchGöschel hat es verstanden, die gesammte Theologie der Eoncordiensormel, welche er 1784-I8K2! später als Confistorialpräsidmt der Provinz Sachsen zu vertreten hatte, aus den Büchern Hegel's herauszulcsen. Und so schien denn zu Anfang der dreißiger Jahre der Friede zwischen Philosophie und Kirchenlehre vollkommen und für immer hergestcllt, der Bund zwischen beiden in der Metropole der deutschen Intelligenz selbst cingescgnct, ihre ewige Verlobung auf dem Katheder besiegelt zu sein. Für um so gesicherter konnte dieser neue Gottcsfriede im Reiche der Geister geltm, als gleichzeitig sich eine besondere Clafsc von sogenannten positiven Philosophen bildete, bestehend aus einer Reihe tüchti ger, theils an Schleiermacher, theils an Schilling und Hegel anknüpsender Gelehrter, wie wir sic oben schon als die Vertreter des sogenannten spccnlativm Theismus kennen gelernt haben iS. 880 s.). Construirten die orthodoxen Hegelianer vornehmlich die Leh ren von der Gottessohnschaft und Versöhnung, so warm die positiven Philosophen dafür bestrebt, den Gottesbcgriff voll dem pantheistischm Anflug, welchen er selbst bei den Letztgenannten immer noch aufwies, zu reinigen und dem Kreisbilde des in sich selbst zürückkehrmden Prozesse- des Absoluten gleichsam als ruhendes Auge das unver rückbare Selbst eines persönlichen GotteS einzusctzm. August Die kirchengeschichtlichcn Forschungen wieder mächtig angeregt zu haben, ist das 1789—i8s" Verdienst eines jüngeren Collegen, des mit Marheinekc von Heidelberg nach Berlin übergesiedelten Neander, dessen Arbeiten alle von dem Geiste milder und wohlthucn-