II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 89t des Volkes isst in die Form des Begriffs zu erheben, in welcher er zuin Gemein gut der Gebildeten und Denkenden werden soll. Hegel hatte nichts dagegen einzuwende», als sein Schüler Göschel in seinen „Aphorismen" nur noch einen formalen Unterschied zwischen Philosophie und Orthodoxie bestehen ließ. So hatte die Dreieinigkeitslehre noch für Herder den Anstoß aller Anstöße gebildet, und soeben noch hatte sie Schleiermacher am Boden liegen lassen. Jetzt erschien sie plötzlich als tiefsinniges Symbol des Grundgesetzes der Logik, als Lösung des Welträthsels. Dieselbe Rettung erfuhr die Lehre von den zwei Naturen in Christus, welche ja die Einheit des Unendlichen und des Endlichen anzudeuten schien. So wurde das Zeitalter mit einer durch und durch unwahren Rechtgläu bigkeit beschenkt. Man bildete sich ein. mit dem Kirchenglaubcn im besten Ein vernehmen zu stehen, und der schon im Dunkeln schleichende Zwiespalt, welcher dann inmitten der dreißiger Jahre zum Ausbruch kommen sollte, wurde absicht lich ignorirt. Ungleich nachhaltiger, wenngleich weniger allgemein wirksam, erwies sich ein anderer Restanrationsversnch, welcher im Unterschiede von der Hegel'schen Orthodoxie dem eigentlich Lebensfähigen auf dem Gebiete von Religion. Theo logie und Kirche galt. Cs war Schleiermacher, welcher von der Romantik ausgcgangcn. schon um die Wende der Jahrhunderte einem des Manderns in den Steppen einer Phantasie- und gemüthlosen Aufklärung überdrüssig werden den Gcschlcchte den Weg nach den frischen Quellen der Religion zeigte. Hatte er doch diese Brunnen, welche gleichsam von den Philistern verschüttet waren, wie einst die Brunnen Abraham's in Kanaan, erst wieder entdeckt und aufgegra- bcn in der. dem Mensche» als solchem eignenden, gefühlsmäßigen Richtung nach dem Ewigen. So namentlich in den „Reden über die Religion an die Gebil deten unter ihren Verächtern". Hier „entrollte Schleiermachcr zuerst ein allge meines und ideelles Bild der Religion, wo er ihr abstreift, was Staat. Wissen schaft, Priesterthum. Unduldsamkeit. Streitsucht und die sinnliche Vorstcllungs- wcise des Volks ihr Falsches, Beschränktes und Unwesentliches angehängt haben ; er schildert nunmehr das Wesen der Frömmigkeit, der Ergebung an Gott, das Gefühl der Gemeinschaft mit deni Unendlichen, und zeigt wie natürlich und unvermeidlich diese Gefühle in ihrer Reinheit dem menschlichen Gcmüthe sind. Er gewinnt dann jene Angercdeten durch die höchst unpriesterliche Unbefangen heit. mit der er die »»mündigen sinnliche» Begriffe von Gott und Unsterblichkeit, von Wundern und Offenbarung u. a. preisgibt, den blinden Autoritätsglauben als einen sclavischen Dienst verwirft, die Religion in jeder Gestalt und Erschei nung ehrt". Später unternahm es derselbe Mann in seiner Glaubenslehre, die ehrwürdige Ruine der christlichen Dogmatik noch einmal wohnlich einznrichten, indem er daran ging, den eigentlichen Bestand des Glaubens der religiös Ange regten unter den Zeitgenossen zu verzeichnen und gegen ungerechtfertigte Uebergriffe sowohl des Rationalismus als des Supranaturalismus abzugrenzen. Dabei