Volltext Seite (XML)
II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 887 die leichtfertige Bauwuth so vieler praktischer Politiker, welche glaubten ihre Versuche am großen Gemeinwesen anstellen zu dürfen, sondern diese in der Zeit der Karlsbader Beschlüsse erschienene Rechtsphilosophie schloß durchaus Frieden mit der politischen Convenienz des Tages und fand für jedes Verdcrbniß der traurigen Gegenwart eine allbcschönigcnde Theorie in dem viclbcrufcncn Wort aus der Einleitung zur Rechtsphi losophie, auf dessen Erfindung ein Gcntz hätte stolz sein können, alles Wirkliche sei vernünftig. Preußen wie cs war, ohne jede deutliche Unterscheidung von Sein und Sollen, war nun dem ehemaligen Bewunderer Napoleons der „Staat der Intelligenz", dessen Bernünstigsein von jedem Vernünftigen zu begreifen sei. Versöhnt mit allen Thatsachen der schlechten Gegenwart, machte er gleich seit Beginn seiner Wirksamkeit in Berlin unaufhörliche Ausfälle nicht blos gegen die Politik der Wünsche und Ideale überhaupt, nicht blos gegen jedwede subjektive Meinung des Bcfserwissens, sondern auch gegen verdiente Patrioten wie Schleicrmachcr, Fries, de Wette und überhaupt Jeden, welcher in dem neuen Mustcrstaate auch menschliche Schwächen zu entdecken und zu beklagen fand. Zu seinen Füßen ließen sich die alten Burschenschafter F. Förster und Heinrich Leo von ihren politischen Sünden bekehren; er wurde der eigentliche Staatsphilvsoph der Restauration; sein System und die Sache der Freiheit waren bald, und wie cs schien, für immer geschieden. Nichts dcstowenigcr hat dieses System nicht blos in der Geschichte der Fachwissen schaft eine ganz enorme, in vieler Beziehung abschließende Bedeutung, sondern es fällt auch, wie außer der kritischen Philosophie Kant s kaum von einer andern Erscheinung der neueren Philosophie ausgcsagt werden kann, mit seinem ganzen Gewichte unmit telbar in die allgemeine Culturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts herein, welches einen ähnlichen Schulmonarcben, der das Denken der Menschen in dem weitesten Kreise und aus den verschiedensten Gebieten als souveräner Diktator beherrschte, nicht wieder gesehen hat. Zu ihm wallfahrtcte die strebsame Jugend, nicht blos um, wie wir eben andeuteten, ihren Geist von den Ausschweifungen des romantischen Schwindels zu befreien und in die Zucht des methodischen Denkens zu nehmen, sondern um für jegliche Fachwissenschaft die philosophische Weihe zu holen. Bringt man dazu noch in Erwägung die allgemeine Abneigung gegen die Oeffentlichkeit des Lebens, den ruhesüch tigen, doktrinären Geist der Zeit, vor Allem den Schuß und die Gunst der Regierung, so begreift man die Alleinherrschaft, welche dieser kräftige, selbstbewußte Geist so lange nicht blos über alle Theile der Philosophie, sondern auch im Leben der Kunst, der Re ligion und des Staates zu behaupten verstand. Den Hauptreiz übte dabei doch immer die Sache selbst, die in Ausficht gestellte absolute Sicherheit eines Univcrsalwisscns. Denn auf dem Standpunkte einer Philosophie, der Denken und Sein Eines und das selbe war, verstand es sich von selbst, daß solche mühevolle Arbeit dcS thcilcndcn und scheidenden, zuletzt aber immer wieder zu neuen Einheiten fortschreitenden Denkens nicht etwa verlorene Mühe um wesenlose Schattcngebilde bedeutete. Was Hegel in seiner Logik construirte, sollte vielmehr das ewige Wesen Gottes selbst darstellen, wie seine Naturphilosophie die Welt, die Geistesphilosophie die Geschichte erklärt. Denn er war sich bewußt, nicht blos den Wcltgeist in seinen ewigen Plänen, sondern auch die gesummte Wirklichkeit in Natur und Geschichte als seine Offenbarung begriffen zu haben. Staunend sahen die Zeitgenossen den großen Magus des Gedankens mit bei spielloser Unermüdlichkeit und Zähigkeit des Abstraktionsvermögens dem absoluten Geist gleichsam Nachdenken, den Fortschritt und Werdegang des Göttlichen in der Welt durch sichtig machen, überall in der Wirklichkeit die Spuren des Begriffes, die Gesetze der Logik Nachweisen und auf diesem Wege eine Gottes- und Weltanschauung Herstellen, deren Zauber die Geister der Zeitgenossen fast ein Menschenalter über nicht losließ, bis