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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 881 Wiffenschastslehre, ähnliche Zielpunkte zugleich vom Ausgangspunkte der Wcltwirklichkeit an. Der Weg von unten nach oben bildet den ersten, „emporleitenden", der Weg von oben nach unten, d. h. von der Gottheit zur Weltwirklichkeit, den zweiten Theil der Philosophie von Christian Friedrich Krause, welcher neben Ulrici, Cha-Chnsti-m lybäus, Karl Philipp Fischer, Wirth, Carl Schwarz, Späth u. A. Kraust gleichfalls zu den Hauptvcrtretern des sogenannten speculativcn Theismus zählt. Ohne ^"832. die gezwungene Terminologie seiner Schriften hätte dieser umfassende Geist wohl leicht eine bedeutendere Wirkung ausgeübt. Doch hat er nicht blos in der Rechtsphilosophie wohlthätig gewirkt (als Anhänger sind hier Ah rens und Röder zu nennen), sondern auch im Auslande Anerkennung und Nachfolge gefunden (Tiberghien, del Rio). Auf der anderen Seite näherte sich der Neu-Schellingianismus auch vielfach bedenklich dem Phantastischen; so schon bei dem gcmüthvollen Gotthilf Heinrich von Schubert, mehr noch bei dem consusen Verfasser der „Philosophie in ihrem Ueber- gange zur Nicht-Philosophie", Adam Karl August Cschenmayer. Direkter noch als Schclling selbst knüpft die, vielfach mit dem System des Genannten in Wech selwirkung sich entwickelnde, Theosophie des naturwissenschaftlich gebildeten, katholischen Gelehrten Franz Baader an Jacob Böhme an. Sein System ist ein im Sinne T»nzBaadcr der kirchlichen Lehre matcrialisirter Schcllingianismus mit phantastisch überwuchernden ^ ^ Auswüchsen, von welchen cs seine Schüler und Anhänger Franz Hossmann, Julius Hamberger und Lutterbeck einigermaßen zu reinigen versuchten, wäh rend Anton Günther cs unternahm, die Naturphilosophie Schelling's der katho lisch-kirchlichen Weltanschauung einzugliedern. Daß aus der Jdentitätslehre mehr wurde, als ein vorübergehender Rausch Sch-mng der Geister, ist nicht Schelling's, sondern erst Hegel's Verdienst. Er hat den"""^^' Wurf gethan, mit welchem die so lange und schmerzlich gesuchte Ueberwindung des Dualismus, den Kant geschaffen hatte, endlich gefunden zu sein schien. Das letzte Wort des ursprünglichen, theosophisch noch nicht angekränkelten, Schelling war die Kunst gewesen. Damit hatte er das romantische Zeitalter von der Seite seiner mächtigsten Passion erfaßt. Die Kunst sollte auf einmal Alles sein, der allgemeine Ocean, in welchen auch die Philosophie am Ende zurückfließt. Der ursprüngliche Grund aller Harmonie des Subjekts und des Objekts war im Kunstwerk und sonst nirgends auf der Welt zu finden. Solches entsprach zwar jener ästhetischen Stimmung, welche die Romantik charakterisirt; für die Philo sophie aber hätte es leicht verhängnißvoll werden können. Der Gewissenhaftig keit des alten Kriticismus völlig entsagend, taumelte sie in einen neuen, diesmal ästhetisch bedingten, Dogmatismus hinüber. Schelling hörte auf vom Katheder herab zu lehren; er weissagte vielmehr vom Dreifuß. Diese Philosophie philo- sophirte nur noch, sofern sie sich zum Universum so verhielt, wie Pygmalion zu seinem Kunstwerk, bis es Leben annahm vor seinen verzauberten Blicken. Da stand es also leibhaftig in jedem Kunstwerk vor der Menschheit des anbrcchenden neunzehnten Jahrhunderts, was das achtzehnte gesucht hatte: die Einheit von Natur und Geist. Denn im Kunstwerk kehrte die Natur als mit Bewußtsein Produktive Natur in sich selbst zurück. So gab es bald keine physischen und keine moralischen Gegensätze mehr, welche man nicht künstlerisch als identisch anzu- W-ber, W-ttgeschicht-. Xir. 56