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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 877 Handlung der absoluten Vernunft sein, vermöge welcher das Absolute als Indifferenz zwischen dem Subjectiven, welches Fichte hervorgehobcn, und dem Objectiven, welches Zacobi vergeblich gesucht hat, vermittelnd erkannt wird. „Zwischen Subject und Object kann daher, da es eine und dieselbe absolute Identität ist, die sich in beiden darstellt, kein qualitativer Gegensatz, sondern nur eine quantitative Differenz sein Unterschied des Mehr oder Weniger) stattfinden, so daß Nichts entweder blos Object oder blos Subject ist, sondern daß in allen Dingen Subject und Object vereinigt sind, nur in verschiedenen Mischungen". Die Stufenfolge dieses Ucbergcwichtes sei es des einen, sei es des andern Factors stellt sich als eine Reihe von Potenzm des Subjectes oder Objectes dar, und es ist die Ausgabe der „wissenschaftlichen Construction", wie Schelling seine neue Methode nannte, die Stufenfolge dieser Potenzen auf rein specula- tivcm Wege als nothwcndigc Evolutionen und Manifestationen des Absoluten dar zustellen. Aber auch auf diesem Standpunkte vermochte Schelling nicht lange zu verharren. Wie er von Anfang an nicht sowohl auf Grund einer Totalanschauung von den Er trägnissen der Geschichte der Philosophie, als vielmehr, auch hierin an Plato erinnernd, unter sofortiger, wenngleich modificirter, Aneignung einzelner Leistungen auf diese»! Gebiete gearbeitet hatte, so nahm er jetzt allmählich von Plato, vom Gnosticismus und Ncuplatonismus, von Giordano Bruno, Jacob Böhme und von Lcibniz so Vieles in den Zusammenhang seines Systems auf, daß dieses bald sich selbst nicht mehr glich und zuletzt in ein buntes Gewebe synkretistisch-mystischer Doctrinen ausar- tcte. Besonders seitdem er nach München berufen war, zunächst als Mitglied derisvo. Akademie der Wissenschaften, dann — nach vorübergehendem Aufenthalt in Erlangen 1820-2«. — als Mitglied der neugegründeten Universität, folgte er. die construirende Methode E. verlassend, mehr seiner schrankenlosen Phantasie und wohl auch den Eingebungen und Neigungen seiner neuen Umgebung, namentlich Franz Baaders. Dieser vierten Periode gehören schon Schriften an wie „Philosophie und Religion", worin unter Anlch- nung an neuplatonische Ideen die Endlichkeit als Produkt eines Abfalls vom Absoluten erscheint, das Ziel und die Endabsicht aller Geschichte aber in der Ausgleichung und Versöhnung dieses Abfalls, in der vollendeten Offenbarung Gottes gefunden wird. Mit dieser Idee verknüpft Schelling die platonischen Vorstellungen von einem „Herabstcigcn der Seele aus der Zntellectualität in die Sinnenwclt", sowie von einer Wanderung, Erlösung und Heimkehr derselben. In dem Helldunkel solcher Phantasien fühlte sich Schelling von nun an immer heimischer. Alle Wissenschaft hat ihm bald nur noch Werth, sofern sie speculativ, d. h. „Contemplation Gottes" ist. Losgcsagt von der Meinung des aufklärerischen Geschlechts, daß die Menschheit sich erst allmählich von der Dumpfheit des Instinkts zur Vernunft emporgerichtet, fand Schelling sie vielmehr von einem Zustand früherer Bildung herabgcsunken, indem sie einst der Erziehung höherer Wesen, „eines Gcistergeschlcchts", thcilhaftig gewesen sei; in der gefallenen Periode zeigten sich solche Lehrer nur noch einzeln wieder, die mit Bewußtsein zur Herstellung jenes vollkommenen Lebens anleiteten. Zn der Rolle solch eines Lehrers wies er also auf die Urwelt zurück, wo ihin die Sage von Göttern und Halbgöttern als eine ge schichtliche Thatsache, die Mythologie als das größte aller Kunstwerke erschien, das einer unendlichen Auslegung fähig sei. Dieses Eingehen auf die platonischen und neu platonischen, durch die gesammte Schwärmerei und Mystik des Mittelalters sich hindurch- ziehcnden, Gedankenrcihen führte endlich den stets neue Wege suchenden Philosophen der tiefsinnigen aber unklaren Theosophic des Jacob Böhme zu. Er brauchte eine Ant wort auf die Frage, wie der Abfall in Gott zu Stande kommen, der Gegensatz aus ihm hervorbrcchen soll, wenn er nicht schon als Potenz in ihm vorhanden ist. Zn der