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872 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. überzeugungskräftigsten, charaktervollsten und tapfersten Männer, welche jemals aus dem Boden des, vom Leben abgeschlossenen, deutschen Gelehrtenthums her- ns2. angediehen sind. Sein „Versuch einer Kritik aller Offenbarung", womit er seine Laufbahn als philosophischer Schriftsteller eröffnete, wurde bei dem Erscheinen 1794. allgemein für eine Schrift Kant's gehalten. Nach Jena berufen, stellte er unter dem Namen der „Wissenschaftslehrc", deren Begründung eine ganze Reihe von Schriften gewidmet sind, ein philosophisches System auf, in welchem der Sub jektivismus Kant's bis auf die äußerste Spitze fortgesiihrt war. Schon bei Kant hatte sich die ganze Welt der Objekte um das in seiner sittlichen Freiheit fest be gründete Ich bewegt. Dieses allein, aus dessen Tiefen die Stimme der Pflicht so vernehmlich ertönt in der Form des „kategorischen Imperativs", war der Mittelpunkt, in welchem die Ahnung eines Ideenreiches sich begegnete mit der Gesetzgebung für die Verknüpfung der Eindrücke der Erscheinungswelt. Irgend wie bestand aber doch noch diesem festen Punkte gegenüber eine Außenwelt. Den letzten Schritt — nach der Ansicht seiner Kritiker und Gegner freilich einen Schritt ins Bodenlose — that nun Fichte, indem er sich ganz nur auf das reine Ich zurückzog und versuchte, wie von da aus mit der Außenwelt fertig zu werden war. So suchte dieser energievolle Geist von einem einzigen unumstößlichen Grundgedanken aus seine Welt sich aufzucrbauen, indem er das was Außenwelt, Objekt, „Nicht-Jch" hieß, lediglich unter dem Gesichtspunkt einer Selbstoffenba rung sowohl wie Selbstbegrenzung des Jchs faßte. Insofern ist Fichte der erste Philosoph, welcher den Menschen ganz auf sich selbst stellte und allem Jenseits gründlich ein Ende zu bereiten schien. Jenes weit ausgedehnte unbekannte Land, darüber Kant nichts zu wissen bekannte, ist ganz aufgehoben. Denn eine Welt existirt nur durch das Ich, für das Ich, in dem Ich; was sich aus dem Ich nicht begreifen läßt, das hört überhaupt auf, ein wirkliches und wahrhaftes Sein zu besitzen; was nicht aus dem Ich heraus mit innerer Nothwendigkeit sich ver stehen läßt, das ist nur verschwindender Schein, wesenlose Chimäre. Das Ich — worunter Fichte freilich nicht das endliche, erfahrungsmäßig im Individuum gegebene, sondern das Prinzip alles Bewußtseins und alles Willens überhaupt verstand, also das ideale, das reine Ich — ist das ausschließlich und absolut Produktive, welches eben dadurch zur Entfaltung seiner unendlichen Selbstthä- tigkeit gelangt, daß es sich das Nicht-Jch, also die Außenwelt, die Natur, als Schranke, aber zugleich auch als Anstoß seiner Thätigkeit gegenübcrstellt. Auf diesem Wege zog Fichte aus dem kritischen Subjektivismus Kant's die Folge rung eines subjektiven Idealismus, welcher die ganze gegenständliche Welt für ein Erzeugnis; des unendlichen Ich, für bloßen Widerschein des Bewußtseins erklärte. Dieses „Ich" Fichte's, für spätere Geschlechter eine so Phantastisch-wunderliche Hieroglyphe, war der erste Name, welchen eine nach Aushebung des Kaut'schen Dualis mus dürstende Zeit dem -ersehnten letzten Cinhcitspunkte Von Außenwelt und Innen-