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860 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. des Dichters tritt erst hervor in dem eben erwähnten Buch Peter Leberecht's Volks märchen, einer Sammlung phantastischer, auf humoristische Weise dramatisirter Mär chen mit polemischen Beziehungen auf lebende Literaten, wie Blaubart; der gestiefelte Kater; die verkehrte Welt; Prinz Zerbino oder die Reise nachdem guten Geschmack, und noch entschiedener in dem Roman: Franz Sternbald's Wanderungen, den Tieck Wacknnodkigemeinschaftlich mit seinem frühverstorbcnen Freund W. H. Wackenrodcr, dem Ver- ' fasser der „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders", oder doch unter der anregenden Theilnahmc desselben bearbeitete. In diesem Roman, „mehr eine Kunst stimmung als ein Kunstwerk", kommen zuerst die Grundsätze von der religiösen Heili gung der Künste, daß der Künstler nur durch „den unmittelbaren göttlichen Beistand" seine Vollendung erreichen könne, das Schwelgen der Kunst und des Künstlcrgemüths im Preise ihrer eigenen Herrlichkeit zum Ausdruck, eine katholifircnde Ucberschwcnglich- keit, die den Spott Goethe's heraussorderte; „weil einige Mönche Künstler waren, sollten nunmehr alle Künstler Mönche sein". Den Einstuß des Buches auf die bil dende Kunst werden wir bald kennen lernen. Der Phantasus ist eine Sammlung von Bolkssagen, romantischen Novellen, Märchen (z. B. Melusine; getreuer Eckhardt; vier Haimonskinder u. a.), mit vorherrschendem Hang zum Wunderbaren, Mystischen und Phantastischen. Tieck's Dramen sind zur Aufführung ungeeignet, eine Entfrem dung vom Praktischen, die um so mehr auffallcn muß, als er für Theater und Schau spielwesen in Dresden sehr thätig wirkte, sowohl durch seine Uebersetzung Shakespeare's und seine Arbeiten über das altcnglische Theater, als durch seine dramaturgischen Blätter. Zn der spätem Periode seines Lebens widmete Tieck seine schriftstellerische Tä tigkeit hauptsächlich der Novelle, worin er große Kunst und Erzählungsgabe bei Entwickelung des inneren Seelenlebens beurkundet, aber weder poetische Tiefe noch sitt liche Kraft: „der junge Tischlermeister", „Dichterleben" (Shakespeare); „Des Dichters Tod" (Camoens); „Vittoria Accorombona" u. a. m.. Alle seine Charaktere haben etwas Träumerisches und Energieloses. 1770—1843" d!it dem Jenaer Dichterkreis stand auch der junge Hölderlin, aus Laufen am " ' Neckar, in Verbindung. Ein Landsmann von Schiller und ganz erfüllt Von besten Idealismus und Begeisterung für das Hellenenthum, hat er in dem Briefroman „Hy- pcrion oder der Eremit in Griechenland", das Ringen einer edlen Menschenseele nach den idealen Gütern der Freiheit und Schönheit im Kampfe gegen die „Unheilbarkeit des Jahrhunderts" dargestcllt. Hyperion selbst, sein Freund Alabanda und seine Geliebte Diotima, tragen deutlich die Züge von Don Carlos, Posa und Elisabeth an sich. Wie diese die Befreiung der Niederlande als Lebensziel im Herzen tragen, so jene die Be freiung Griechenlands von der Türkenherrschast, die Rückführung der alten hellenischen Herrlichkeit. Der Roman, der den russisch-türkischen Krieg vom I. 1770 zum histo rischen Hintergrund hat, ist eine Verherrlichung griechischen Lebens und Landes in elegi schen Tönen, sehnsüchtigen Empfindungen und naturphilosophischen panthcistischen Anklängcn. Eine tiefpoetische schwärmerische Natur, mußte Hölderlin im Kampfe mit der Realität des Lebens eben so zu Grunde gehen, wie die Helden des Romans. Was Diotima für Hypcrion, wurde für ihn die Mutter seiner Zöglinge, die er als Haus lehrer in einer der kaufmännischen Aristokratie Frankfurts angehörcnden Familie in sein liebcglühendcs Herz einschloß; eine Wiederholung der Leidensgeschichte Werthers, die einen weniger gewaltsamen aber nicht minder tragischen Ausgang hatte. Von dem Ge genstände seiner Liebesschwärmerei getrennt, von einer ungestillten Sehnsucht nach unerreichbaren Zielen verzehrt und zerrissen, gerieth Hölderlins phantasievoller Geist in einen Zustand unheilbarer Störung, deren Spuren schon frühzeitig hervorgetretcn waren. Aus dem südlichen Frankreich, wo er eine neue Hauslehrerstelle bekleidete, kehrte er im