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858 D. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. dem Philologen Bernhardt in Berlin, war der grundlegende Anfang, der dann in Jena, wo zuerst Aug. Wilhelm, dann auch Friedrich Schlegel bei der Universität thätig waren und Tieck ab und zu sich aushielt, festere Gestalt und Ausbildung empfing. An die Namen Schlegel und Tieck blieb die Gründung der romantischen Schule stets ge knüpft, wenn gleich mit der Zeit, als die Richtung und die charakteristischen Eigen- thümlichkeiten sich mehr entwickelten und klärten, ein anderer Name, der lyrische Dichter l772-°,vmFriedrich von Hardenberg, genannt Novalis, aus dem Mannsfcld'schen, mehr in den Vordergrund trat. Die Rachgcbornen verehrten den Dichterjüngling Novalis, der aus dem Leben schied als die neue Poesie erst ihren historischen Entwickelungsgang be gonnen, aus Pietät als das Haupt der romantischen Schule sowohl wegen seiner über sinnlichen, schwermüthigen Dichtungen und poetischen Auffähe, deren wir oben gedach ten, als weil er in dem erwähnten unvollendeten Roman „Heinrich von Oftcrdingen", zuerst Zweck und Streben der Romantik kund gethan. Ihm galt die Poesie als der Mittelpunkt aller geistigen Lcbcnsthätigkcit, so daß „seine ganze Wcltbetrachtung un mittelbar zu einem großen Gedichte ward". Wie Schleiermacher, stieg auch er aus dem engen Herrnhuter Scktenglauben zu einer idealen Gefühlsreligion auf. Diese strenge Herrnhuter Erziehung, tiefsinnige Studien in dem mystischen Jacob Böhme (XII, 736), schwindsüchtige Leiden und der frühzeitige Tod einer geliebten Braut, erzeugten in ihm jene trübe, krankhafte „Gemüthsscligkeit", jene „transcendcnte Sehnsucht", die in seinen poetischen Erzeugnissen den Grundton bildet. ^us^W'iK. Agn größerem Einfluß aus die Bildung und Kunstrichtung der Zeit war die 1767—1845. Wirksamkeit der beiden Schlegel, der Söhne des Dichters und Predigers Johann N72—°i82s! Adolf Schlegel aus Hannover, die in ihren Studien wie in ihren Lebenswegen und Weltanschauungen ähnliche Bahnen verfolgten. Beide theilten mit Goethe und Schiller die begeisterte Hingebung für das klassische Alterthum und die hellenische Kunst, von der damals die beiden Dichterheroen beseelt waren (XII, 645), und auch in spä teren Jahren, als sie in andere Bildungsgänge einlcnkten, sind sie der antiken Kunst welt stets in Liebe zugethan geblieben. Doch liegen ihre Vorzüge nicht in den dichteri schen Produktionen, die aus griechischem Boden wurzeln: denn weder das Drama „Jon", eine Ueberarbeitung des Euripideischcn Stückes, und die einst vielgepriesenen Gedichte „Elegie über die Kunst der Griechen" und „Arion war der Töne Meister", von August Wilhelm, noch die dramatische Dichtung „Alarkvs", worin Friedrich Schlegel das antike Pathos eines Acschylos mit dem spanisch-romantischen eines Calderon zu verschmelzen, die tragische Schicksalsidee durch den Fatalismus eines modernen Ehr- und Loyalitätsbegriffes zu ersetzen versuchte, können mit den Schiller-Goethe'schen Pro dukten der antikisirenden Richtung den Vergleich aushalten. Ihren größten Ruhm er langten sie nicht in dem Wettkampf in der Arena der griechischen Muse, sondern durch andere Leistungen. Aug. Wilhelm Schlegel, der nach einem vielbcwcgten Leben im Batcrlande und in der Fremde, zuletzt als Professor in Bonn lebte und starb, erwarb sich größcrn Ruhm durch seine kritischen und ästhetischen Schriften, Aussätze und Re- censionen in verschiedenen Zeitschriften, durch seine „Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur", durch sein seines Gefühl und Urtheil über fremde Pocsicwerke, wodurch er anregend aus seine Zeitgenoffen wirkte, durch seine (später von Tieck beendigte) mei sterhafte metrische Uebersetzung Shakcspeare's, und durch seine Arbeiten über indische Literatur und Sanscritsprache, als durch seine eigenen lyrischen und dramatischen Dich tungen, Romanzen, Elegien u. A. Als mit dem Regierungsantritt Friedrich Wil helms IV., des „Romantikers auf dem Thron der Cäsaren", für die Epigonen der romantischen Dichterschule ein letztes Abcndroth anbrach, Tieck, Schelling, Rückcrt nach Berlin berufen wurden, hoffte auch A. W. Schlegel in die Nähe des Hofes gezogen zu