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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 851 verloren sich die Romantiker in einen völligen Quietismus des künstlerischen und wissenschaftlichen Treibens; die Willkür und Selbstherrlichkeit des Gcmüthes dem hellenischen Heidcnthum entgegensetzend, flüchteten sie sich in das Mittelalter, in die religiöse Mystik und Mythologie und meinten in dem Aber- und Wunder glauben einer geistig armen Vergangenheit und in der thatlosen Beschaulichkeit des Morgenlandes einen Damm wider den Unglauben der Freidenker zu finden; ja Einige, wie Friedrich Schlegel, Adam Müller. Zach. Werner, „der Christi Blut und Wunden poetisch predigte", u. A. m., suchten im Schooße der römisch- katholischen Kirche Schutz gegen die Vermessenheit der menschlichen Vernunft, gegen den Forschungstricb der Rationalisten, gegen die Neuerungslust eines beweglichen Geschlechts. und dienten gleich Gentz, Jarcke u. A. der reactionären Staatskunst Metternich's in Oesterreich. Anstatt, wie Schiller, die neuere Zeit und die Geschichte zum Vorwurf der Dichtung zu nehmen, die Wirklichkeit zu idcalisiren und dem realen Leben einen poetischen Anstrich zn geben, machten die Romantiker die Poesie zum Mittelpunkt alles Lebens und Strcbcns, wo „alle geistigen Richtungen, alle Momente der Welt- und Mcnschcnauffassung zusam- mcnlaufcn sollten", und empfahlen alle jene Perioden der Menschheit, „wo ein solcher poetischer Anstrich auf dem wirklichen Leben zu liegen schien, Ritterthum und katholisches Christenthum, Mittelalter und Orient". Fr. Schlegel's „Ideen" in der Zeitschrift Europa und seines Bruders Berliner Vorlesungen im I. 1802 waren Missionsversuche für die neue Religion der Kunst und des Gefühls. Der Wunderglaube und die religiöse Beschaulichkeit einer christlichen Vorzeit. das Minnewesen und der sinnliche Rcligionsdicnst einer untergcgangenen Rittcrzeit, die heilige Kunst des Mittelalters, die blüthcnreiche Dichtung der Morgenländer, das Volkslied und die phantasicvolle Märchenwelt fesselten vorzugsweise ihr Interesse. In den „glänzenden Hervorbringungen des Mittelalters in Leben und Poesie" fand A. W. Schlegel die Wege „auf denen der gottverlassene Ver- nunftcnltus wiederum in den Tempel der wahren gotterfülltcn Gcmüthsandacht zurückgcführt werden könnte", und Ticck suchte im Mittelalter und in der „wun dervollen Märchenwelt" den frommen Glauben, den kindlichen Sinn, die Heil quelle für alle Gebrechen der Gegenwart. Diese Vorliebe der Romantiker für das Mittelalter hatte die Folge, daß Deutschland mit einer Fluth von Ritter romanen überschwemmt wurde, welche den Sinn des Volkes. insbesondere der Jugend und der weniger gebildeten Kreise, für Wahrheit und Wirklichkeit ab- stnmpftcn und die Phantasie mit falschen Gebilden und Vorstellungen füllten. Uebcrall ist das Kennzeichen der eigentlichen Romantik „die Flucht in über- und unterirdische Regionen, in das Reich der Träume und Geister, in die Fernen der Zeiten und Völker, die Wiederbelebung der Dichtungswerke dieser abgelege nen Zeitalter, die Verleugnung der Gegenwart, der Neuzeit und alles wirk lichen Lebens". Mochten immerhin die Gründer und Häupter der Schule ihr Bestreben darauf richten, der Nation die Schätze der erworbenen Bildung zu 54*