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850 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. lität gegen die hcrandringende Oberflächlichkeit und den vulgären Realismus zu behaupten, und suchten in der hellenischen Dichtkunst die Musterbilder ihrer Aesthetik; aber bald verließen sie den real-idealen Boden, auf dem jene ihre plastischen Schöpfungen aufgeführt, und schufen Werke der Imagination, wobei die poetische Form ganz von den Realitäten des Lebens absah. „Aus Verzweif lung über die empirische Natur die sie umgibt, verlassen sie Natur und Wirklichkeit ganz und gar; sie suchen nicht aus dieser zu schöpfen, sondern kämpfen mit der Imagination gegen sie". Wohl war es ein großes Verdienst der romantischen Schule, daß ihre Gründer und Häupter einen höheren Maßstab des Kunsturtheils aufstellten, daß sie den „herabziehende» Tendenzen" der Kotzebue und anderer untergeordneten und mittelmäßigen Tagesschriftsteller mit scharfer Kritik wie mit Spott und Ironie entgcgentratcn, den künstlerischen und literarischen Geschmack auf der Höhe der großen Klassiker unserer Nation zu halten suchten: aber sie schwan gen das Schwert mit Uebermuth; sie richteten ihre kritische Geißel nicht nur gegen das Fehlerhafte, Ordinäre, Gemeine, sondern befehdeten auch Lcbensan- schauungen und Geistesrichtungen, die in bürgerlich ehrbaren Geleisen einher- wanderten; sie suchten Erscheinungen, die sie für ungesund und schädlich hielten, durch scharfe allopathische Gegenmittel zu heilen, die dem Körper Krankheits stoffe anderer Art zuführten. Wenn die beiden Schlegel durch ihre kritischen Aufsätze im „Athenäum", in der „Europa" und in andern periodischen Schriften, Tieck durch seine humoristischen Dramen, Bernhardt in Anzeigen und Recensio- nen, in den Aufsätzen und Erzählungen, die er „Bambocciaden" nannte, der Plattheit, Mittelmäßigkeit und Philisterhaftigkeit heftige Schläge versetzten, so waren das luftreinigende Thaten, aber in gar vielen Fällen schütteten sie, wie man zu sagen pflegt, das Kind mit dem Bade aus; sie übten das Pförtneramt zum Parnaß mit zu großer Rigorosität und für manche Geistesrichtnngcn hatten sie einen zu kurzen Maßstab, ein zu befangenes Urtheil. Dabei waren ihre eigene» poetischen Erzeugnisse keineswegs von so durchgreifender Trefflichkeit, daß sie für das unbestrittene Richteramt berechtigt hätten. Goethe freilich war zu groß und vielseitig, als daß die Romantiker nicht hätten versuchen solle», au diese feste Säule ihre Schule anzulchnen; sie näherten sich ihm mit ungemcssener Bewunderung und Lobpreisung, um ihn als „Idol ihres Cultus" aufzustcllen; erst als er den Tempel ihrer Verehrung verschmähte und sich ihnen nicht unbe dingt hingab, erkaltete allmählich ihr Lob. Schiller dagegen wurde gleich an fangs von den Romantikern, die weder an seinem Freimuth, noch an seinem weiten Christenthum, noch an seinem dichterischen Verfahren Behagen fanden, unterschätzt und vornehm bei Seite geschoben, so sehr auch ihre eigenen ästheti schen Gesetze und Ansichten auf seinen Forschungen beruhten!, und in der kleinen Thüringer Universitätsstadt Jena, die längere Zeit neben Berlin Hauptsitz und Werkstätte der romantischen Schule war, die Berührungen nahe genug lagen. Aus Widerwillen gegen die Aufklärung und die in ihr wurzelnden Revolutionsideen