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842 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. verstimmt über ungerechte Zurücksetzung, den Dienst verlassen hatte, behielt die Leitung des Heerwesens und wurde auf Veranstaltung der aristokratischen und constitutioneilen Partei, die in dem ungestümen Treiben der kriegslustigen Jugend und der republikanischen Clubs nur Unheil erblickte, zum Dictator ernannt. Chlopicki nahm die Würde bis zum Zusammentritt des Reichstages an; aber ein eigensinniger rechthaberischer Mann von aristokratisch-militärischem Charakter, stieß er bald auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Dn-ngi»nd- Wie konnte man hoffen, mit dem gezogenen Schwert in der Hand von dem ' zürnenden Machthaber in Petersburg Gnade oder Zugeständnisse zu ertrotzen! und doch traten Chlopicki und seine aristokratischen Rathgeber mit dem Kaiser in Unterhandlung, wiesen den Vorschlag der Patrioten, die unter österreichischer, preußischer und russischer Obmacht stehenden Provinzen des ehemaligen Polen reichs zur Empörung aufzurufen, entschieden ab und setzten, statt einen Volks und Nationalkricg zu organisircn, ihr Vertrauen auf Frankreichs gleißnerische Zusagen und auf diplomatische Unterhandlungen, durch die sie hofften, die pol nische Revolution in den Augen der europäischen Mächte als eine legitime dar zustellen und sich den Weg der Gnade bei dem Kaiser offen zu halten. Sie ver gaßen die alte Lehre, daß, wer das Schwert zum Aufruhr erhebt, die Scheide wegwersen müsse. Wie im Jahr 1794 lebte man in Warschau in einem Rausche von Festlichkeiten mit Trinkgelagen und Volkstänzen, als ob das Werk der na tionalen Befreiung vollendet wäre. Und doch hemmten Spaltung, Parteistreit und Mißtrauen alle Unternehmungen, indeß Kaiser Nicolaus Anstalten traf, ein Heer von 120,000 Mann mit 400 Kanonen unter Feldmarschall Dicbitsch und dem Grafen Toll als Chef des Generalstabs in Polen einrücken zu lassen. 20' ^,83o. Der in Eile zusammcngerufene Reichstag nahm eine unhaltbare Stellung ein. Er erklärte den Aufstand für eine Nationalsache und für das Ergebniß der '^-sch>T Verfaffungsverletzung von Seiten Rußlands, bestätigte aber doch die Diktatur Chlopicki's, nur mit der Beschränkung, daß er ihm eine aus Senatoren und Land boten bestehende Aufsichtscommission als Vollzugsbehörde zur Seite stellte. Zu gleich wurde ein Manifest verbreitet, worin in scharfen Ausdrücken alle Rechts verletzungen und Beschwerden aufgezählt waren, welche Polen von Rußland zu erleiden gehabt, um in den Augen Europas den Aufstand als gerechtfertigt er scheinen zu lassen. Ueberzcugt, daß das polnische Heer in seiner damaligen Ver fassung den Russen nicht widerstehen könne, rieth Chlopicki noch zu Unterhand lungen, als der Kaiser seine feindseligen Absichten schon zu erkennen gegeben, und war nur für einen Vertheidigungskrieg. Zwei Abgesandte überbrachten dem Zaren die Forderungen der Polen: Strenge Durchführung der Verfassung, Entfernung der russischen Regimenter und, wo möglich, Vereinigung der alten Provinzen mit dem Königreich. Die Zurückweisung war zu erwarten. Nicolaus stellte nur für den Fall unbedingter Unterwerfung Amnestie in Aussicht. Des halb mit dem Aufsichtsrath entzweit und von den Demokraten in Reden und