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I. Reaktionäre Experimente u. revolutionäre Gegenschläge. 809 und die Volksmasse mit wildem, drohendem Geschrei und tumultuarischen Gc- waltscenen den Tod der Angeklagten forderte, wurden die vier Minister von dem hohen Gerichte zu lebenslänglichem Gefängniß, Fürst Poliguac überdies noch zum bürgerlichen Tode verurtheilt und dann unter dem Schutze der Natio nalgarde nach Vincennes zurückgeführt. Bald lief die Kunde durch die Armee, Karl X. habe den Herzog von Orleans durch den General Girardin auffordern lassen, er möge seine Bestallung als Generallieutenant von den: König anneh men, eine Kunde, die nicht verfehlen konnte, den Abfall und Uebertritt ganzer Abtheilungen zu vermehren. Von der aus den Bädern von Vichy zurückkehrcn- deu Herzogin von Angouleme hörte man, daß in allen Städten die Tricolore aufgepflanzt sei, daß sich alle Provinzen der Julirevolution angeschlossen, eine Nachricht, die auch durch andere Botschaften bestätigt ward. Nun griff Karl X. zu demselben Mittel, zu dem Napoleon im letzten Augenblick vergebens seine Zu flucht genommen hatte: als ihm Louis Philipp auf sein Anerbieten antwortete, „er sei Statthalter durch die Wahl der Abgeordneten", beschloß der König zu Gun sten seines Enkels, des Herzogs von Bordeaux dem Throne zu entsagen. Auch der Dauphin ließ sich bereit finden, seine Ansprüche auf die Krone aufzugebcn. General Latour-Frissac überbrachte beide Abdicationsacte in Briefform dem Generallieutenant, mit dem Auftrag die Thronbesteigung Heinrich's V. zu ver kündigen und die Regentschaft zu übernehmen. Es war zu spät. Wie hätte das Pariser Volk, dem der Bourbon'sche Name so verhaßt war, daß während des Aufstandes die Straße, die den Namen des Sohnes der Herzogin von Berry führte, in „Straße des Findelkinds" umgewandelt hatte, sich im Siegesräusche der gelungenen Revolution ein solches Abkommen gefallen lassen! Auch Louis Philipp selbst wollte nicht die Rolle seines berüchtigten Vorfahren bei Lud wig XV. übernehmen. Er machte der Kammer die Anzeige von de» beiden s. A»g. rsso. Abdankungen ohne mit einer Silbe von Heinrich V. zu sprechen und ließ im Moniteur die Investitur-Acte des Königs abdrucken. Solange indessen die königliche Familie im Rambouillet weilte und noch immer Ab«»- r» eiue Truppenmacht von achttausend Mann unter General Vincent zu ihrer Vcrthci- Fa!,u!i-: ' digung bereit stand, war der Sieg des neuen Königthums nicht gesichert. Konnte nicht Karl X. mit dem getreuen Uebcrreste seiner Armee sich nach dem Süden der Loire werfen, die Vendeer ausrufen, durch das royalistische Frankreich die revolu tionäre Hauptstadt bekriegen? Von dieser Gefahr wurde der Herzog durch die Mutlosigkeit und Saumseligkeit des Königs und seiner Umgebung befreit. Die vier Commissare, die Louis Philipp nach Rambouillet geschickt hatte, Marschall Maison, Schonen, Odillon Barrot und Jacqueminot verfehlten, indem sie gar nicht vorgelassen wurden, ihren Zweck, die königliche Familie zu bewegen um ihrer Sicherheit willen sich nach Cherbourg zu begeben, wo der Seecapitän Dumont d'Ur- villc zwei Fahrzeuge zu ihrer Verfügung stellen würde. Was sie nicht erreichten, das bewirkte die Nachricht, daß sich ein Volksheer, bestehend aus Nationalgarden