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806 1t. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. den Menschen- und Bürgerrechten, für die er vor vierzig Jahren gekämpft, sein rechtschaffenes Leben und sein Einfluß als Befehlshaber der Nationalgarde gaben ihm ein dominireudes Ansehen bei allen Klassen der Bevölkerung. Nur Er ver mochte in der schwebenden Frage: ob Republik oder Monarchie, den Ausschlag zu geben. Seit den Tagen, da er mithalf eine neue Staatsgesellschaft zu grün den, eine abgelebte zu stürzen, war er den republikanischen Grundsätzen zuge- than; aber bittere Erfahrungen hatten ihn allmählich dahin geführt, daß er in einer auf der Volkssouveränetät aufgebauten, von demokratischen Institutionen umgebenen Monarchie ohne Adel, ohne Vorrechte, ohne Erblichkeit, außer in dem Oberhaupte der vollziehenden Gewalt, die vollkommenste Staatsform er kannte. Auch die Glieder der Municipalcommission, die für den siegreichen Auf stand Partei zu nehmen geneigt waren, beugten sich unter seine Autorität. Bei dieser Stimmung und Lage kam Alles auf eine imponirende Kundgebung, auf eine entschlossene That an. Und zu einer solchen raffte sich der Herzog im rechten Augenblicke auf. Ermuthigt durch die ihm heimlich überbrachte Zusage La- sayette's, er werde dem Herzog nicht entgegen sein, wenn er einwilligc die Krone von der Nation zu empfangen, faßte Louis Philipp den kühnen Plan, sich mit den Abgeordneten, deren Zahl allmählich auf einundneunzig gestiegen war, vom Palais-Royal aus nach dem Stadthause zu begeben, um dort die höchste Staats gewalt sich von den Vertretern des souveränen Volkes übertragen zu lassen. Es war ein Schritt von welthistorischer Bedeutung und von hohem persönlichen Muthe, als der Herzog am letzten Juli des Mittags um zwei Uhr an der Spitze eines bürgerlichen Zuges, ohne allen militärischen Prunk, sich durch die dicht gc- gedrängten, noch von den Ueberresten der Barrikaden bedeckten Straßen, nach dem städtischen Rathhause in Bewegung setzte, voran ein einziger Trommler, der Prinz selbst in Generalsuniform mit der dreifarbigen Cocarde zu Pferd, Laffitte, der Präsident der Versammlung, seines verrenkten Fußes wegen in einem Trag- scsscl. Den Hut in der Hand, „alle Freundlichkeit vom Himmel stehlend", ritt Louis Philipp heiteren Antlitzes durch die Menge, da und dort in kurzen An rede» sich an die Barrikadcnmänner wendend und links und rechts die Hände schüttelnd. Je mehr sich aber der Zug von der Orlcans'schcn Residenz entfernte, desto dichter wurde die Mcnschcnmafse, desto drohender und feindseliger die Hal tung der Menge, desto häufiger die revolutionären Zurufe. Aus dem bleichen An gesicht und den ernsten Mienen konnte man die innere Gemüthsbewegung Louis Philipp's errathen. Wie leicht konnte aus jedem Fenster, aus jeder Lhüre die Todeskugel hcrausfliegcn! Seine „Fahrt nach Rheims", wie man diesen Ritt nach dem Stadthause genannt hat, bewegte sich zwischen der Thronerhöhung und dem Sturz vom tarpejischen Felsen. Mühsam stieg er durch die von „Patrioten" an gefüllten Treppen und Vorplätze zu dem Saale empor, wo ihn Lafayette an der Spitze des städtischen Ausschusses empfing. Die taktvolle Antwort, womit der Prinz den mit einer frechen Anrede sich an ihn herandrängendcn Dubourg