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802 K. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. holen und init dem neuen Ministerpräsidenten zurückkehren. Bis Mitternacht wolle man auf sie warten. Aber die Botschafter konnten die Zeit nicht einhalten. Der König war zu Bette gegangen; Mortemart zögerte mit der Abreise. Bis man den Monarchen aufgeweckt und zur Unterzeichnung der Urkunden gebracht, durch welche die Ordonnanzen vom 25. Juli zurückgenommcn. die drei Minister ernannt, die Nationalgarde unter ihrem Befehlshaber hcrgestellt und die Kam mern auf den 3. August Unberufen wurden, verstrich der größte Theil der Nacht. Als endlich Mortemart, unwohl und vom Fieber gequält, mit seinen Begleitern am Boulogner Walde anlangte, stießen sie zuerst bei den Truppen, dann bei den Insurgenten auf so viele Schwierigkeiten, daß sie nur auf weiten Umwegen zu Fuß und auf den Tod ermüdet in die dunkle Stadt zu gelangen vermochten. Die Abgeordneten hatten mittlerweile das Haus Laffitte verlassen und auf den nächsten Mittag eine neue Zusammenkunft im Palais Bourbon anberanmt. Mit Schweiß und Staub bedeckt hinkte nun der Ministerpräsident auf wundgegangenen Füßen nach dem Palaste der Pairskammer. Auf dem Wege benahm ihm schon Berard, der ihm an der Seite des alten erblindeten Mathieu Dumas, eines Schicksalsgefährten Lafayette's begegnete und ihn in sein Haus zog, jede Hoffnung auf irgend einen Erfolg. König Karl X. habe auf gehört zu regieren, sagte Berard, jetzt handle es sich nur noch um die Frage, ob Monarchie oder Republik. Dringe das Königthum durch, so werde nicht die zeitfeindliche Dynastie Bourbon, sondern der Herzog von Orleans in Zukunft die Krone Frankreichs tragen. Tief erschüttert richtete Mortemart seinen Gang zu den Pairs im Palais Luxembourg, wo etwa achtzehn Mitglieder um Semon- ville versammelt waren. Er konnte nicht einmal die von St. Cloud mitgebrach- tcn Aktenstücke veröffentlichen. Ein Mitglied der ersten Kammer, Baron Snssy erhielt den Auftrag, sie nach dem Palais Bourbon und nach dem Rathhause zu bringen. ihlkrs und Was Berard dem Minister gesagt hatte, war mehr der Wunsch einer >>°i?L,kan^ Gruppe von Abgeordneten und Journalisten als die Ansicht der Kammermehrheit. so.Juu'isN Zwar hatte sich Louis Philipp stets zu den Häuptern der liberalen Partei ge halten und besonders mit Laffitte, Sebastian!, Dupin die freundschaftlichsten Beziehungen gepflogen; aber klug und vorsichtig, wie er war, hatte er dabei jede offene Opposition gegen den Hof vermieden. Als die Juliverordnungcn erschienen und die Katastrophe herbeiführten, lebte er in Neuilly in großer Ver- » borgcnhcit und Zurückhaltung. Aber schon am frühen Morgen des 30. Juli las man an den Straßenecken einen Aufruf, worin der Herzog von Orleans als künftiger König empfohlen war; er sei der Sache der Revolution ergeben, habe nie gegen Frankreich gekämpft und stets die dreifarbige Fahne aufrecht erhalten; er wird die Charte annehmen, wie wir sie von jeher gewollt und verstanden haben, und seine Krone von dem französischen Volke empfange». Der Aufruf rührte von Thiers her, dem Hauptrcdacteur des National; und einige Stunden