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I. Reaktionäre Experimente u. revolutionäre Gegenschläge. 799 nicht selten durch das Volk selbst auf offener That bestraft, geraubtes Gut in öffentlichen Gebäuden sicher geborgen. Solche Züge verdienen um so mehr Be achtung, als die ganze revolutionäre Erhebung ohne höhere Leitung, ohne an erkannte Autorität vor sich ging. Der ganze dreitägige Aufstand glich einem jener geschichtlichen Naturereignisse, welche sich nach dem Gesetze der Nothwen- digkeit gleichsam ohne menschliches Zuthun aus der instinktiven Volksanlagc heraus entwickeln ohne Plan, Berechnung und Kunst. Weder die Häupter der liberalen Opposition, noch die royalistischcn Ultras hatten sich zur Kricgsfahne gedrängt, hatten den Schlachtruf ausgegeben. Es war die Antipathie der Nation gegen das Bourbon'sche Königshaus, gegen das System absolutistischer Willkür und heuchlerischer Priesterpolitik, was die Waffen in die Hand gab, und die revolutionäre Tradition der Pariser Bevölkerung, was den einmal begonnenen Kampf in Gang hielt. Um dieselbe Zeit, da die königlichen Schlösser in die Gewalt des Volkes^"m^ünd fielen und Marschall Marmont den Abzug der Truppen nach der BarriereBurg»'mhr. de I'Etoile und der Vorstadt du Noule mühsam bewerkstelligte, spielte sich auf dem Stadthause eine Scene ab, welche ein grelles Bild von der gänzlichen Zer fahrenheit der öffentlichen Zustände und der herrschenden Anarchie gab. Ein ehe maliger Offizier der kaiserlichen Armee, Namens Dnbourg, ein Mann von einer zweideutigen Vergangenheit, erschien in einer vom Trödler erstandenen abgetragenen Uniform auf dem Rathhause und wurde auf Empfehlung von Evariste Dumoulin, einem der Rcdacteure des Constitutione!, zum General der Nationalgarde ausgerufen. Zu ihm gesellte sich Baude vom Temps, dessen an stelliges Schauspielcrtalent sich rasch in allen Rollen zurcchtfand, und beide traten als Häupter einer provisorischen Regierung ans. erließen einen Tagesbefehl in sieben Artikeln, der die Absetzung der Regierung verkündete, die Abgeordneten nach dem Stadthaus beschicd, die Herstellung der Mairien anordnetc und die Nationalgarde unter die Waffen rief. Da die Volksvertreter, denen naturgemäß die Führerschaft zugcstandcn hätte, aus ihrer unschlüssigen zaghaften Haltung noch immer nicht herauszutreten wagten, noch immer sich zu keinem mannhaften Entschluß aufzuschwingen vermochten, so fand die improvifirte Regentschaft eine Zeitlang Gehorsam und Anerkennung. Endlich kam auch in die Deputaten einiges Leben. Etwa dreißig derselben waren bei Laffitte versammelt, als der Uebergang des dreiundfünfzigsten Linienregiments zur Volkssache gemeldet ward. Diese Nachricht brachte eine elektrische Wirkung auf die Anwesenden hervor und riß sie aus der bisherigen Rückhaltung heraus. Lafayette, der so eben eiutrat und erklärte, er sei von mehreren Seiten anfgcfordert worden, sich an die Spitze der Pariser Bürgerwehr zu stellen, und habe sich entschlossen die Mission, die er bisher zurückgewiesen, zu übernehmen, wurde sofort von den Anwesenden zum Befehlshaber der Nationalgarde ernannt, die bereits General Pajol mit Ermäch tigung des Abgeordneten Laborde zu formtreu begann. So kam denn der alte