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792 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. die Einberufung der Wohlcollegien und der Kammer, die Übertragung des Oberbefehls über die königliche Dienstgarde und des Ehrcnrangcs eines Gouverneurs der ersten Militärdivision an Marschall Marmont, Herzog von Ragusa, sowie die Ernennung einiger Ultraroyalisten und Congreganisten zu Staatsräthen. Mangelhaft- König und Minister hatten den Staatsstreich, durch den das Prinzip „eine güngsan.'gewährte Verfassung als ein entziehbares oder veränderuugsfähiges Zugeständniß ^"'zu behandeln", angewendet werden sollte, mit der größten Heimlichkeit und Ver stellung vorbereitet, damit von keiner Seite Warnungen oder Bedenken über das „hohe Spiel" vorgebracht werden könnten. Um so größer war der Eindruck, den 2«. J»iii83ü. die Veröffentlichung der Verordnungen im Moniteur hervorbrnchte. Allein mit unglaublichem Leichtsinn hatte Polignac versäumt, zugleich genügende militä rische Sicherheitsmaßregeln zu treffen, um jede revolutionäre Bewegung im Keime zu ersticken. Die Besatzung in Paris umfaßte kaum 12,000 Mann, die noch dazu durch langen Verkehr mit der hauptstädtischen Bevölkerung auf freund schaftlichstem Fuße lebten; aus der Provinz konnte man nur mit Mühe und Zeitverlust Verstärkungen heranziehcn. Man verließ sich auf die Versicherung des Polizeipräfekten Mangin, der mit seinem Kopse für die Ruhe der Stadt einzustehen versprach, was auch immer geschehen möge. Der Moniteur war so wenig gelesen, daß die Mittagstunde Herbeikain, ehe 2k.Ju,i i8so. die Ordonnanzen mit den Ausfällen wider die Mißbräuche derPrcsse in weiteren Kreisen bekannt wurden. Der erste Eindruck war Bestürzung, Niedergeschlagen heit, Schrecken. Die Renten fielen; in mehreren Druckereien und Fabriken wurde die Arbeit eingestellt; schwere Sorge erfaßte die Gemüther. Der König verbrachte den größten Theil des Tages auf der Jagd, um keine Vorstellungen oder Beschwerden gnhörcn zu müssen; Polignac war guter Dinge; als man ihn von dem Sinken der Staatspapiere unterrichtete, bedauerte er kein Geld zum Kausen zu haben; sie würden bald wieder in die Höhe gehen. Erst als der Polizeipräfekt an alle Buchdruckercicn das Verbot ergehen ließ, nicht ccnsirtc Schriften oder Zeitungen auszugeben, fanden Berathungen statt. Einige in Paris anwesende liberale Abgeordnete der aufgelösten Kammer, Sebastiani, Laborde, Berard, Bertin u. A. versammelten sich zuerst bei Casimir Perier, und einige Stunden später bei Laborde, während die Rcdacteure der Opposi tionsblätter auf dem Geschäftszimmer des „National" zusammenkamcn. Jene gingen aus beiden Besprechungen rathlos auseinander ohne einen Beschluß ge faßt zu haben. Diese kamen überein, öffentliche Einsprache gegen den Staats streich zu erheben. Adolf Thiers, der mit Armand Carrel die Redaktion des wichtigsten Organs des Liberalismus leitete, entwarf den Protest gegen die „schreiendste Verletzung der Gesetze". Seine gewandte Feder fand die rechten Worte, energisch und doch maßvoll darzuthun, daß mit den verfassungswidrigen