790 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. Veränderung im Ministerium vor, indem an Stelle von Chabrol und Cour- voisicr zwei ultraroyalistische Heißsporne ernannt wurden, Chantelauze, bisher Präsident des Tribunals in Grenoble, und Pey rönnet, das unpopu lärste Mitglied in dem Cabinet Villele, der sich einmal zu der drohenden Aeuße- rung verstieg, „die Staatsstreiche könnten gesetzmäßig werden, wenn sie die Be festigung der Verfassung zum Zweck hätten". Diese Vorgänge setzten die schon ohnedies aufgeregten Gemüther in große Vulcan. Pbwegung, die noch gesteigert wurde durch die Anstrengungen aller Parteien, die Wahlen nach ihrem Sinne zu lenken. Nicht nur daß die Minister durch ihre Beamten alle Hebel der Villele'schen Einwirkungskünste einsetzten, um die Wahl- 'b'i83v! coolsten ZU bearbeiten, Karl X. selbst erließ einen Aufruf an das Volk, worin er als Vater und König die Franzosen ermahnte, bei der bevorstehenden Wahl ihre Pflicht zu erfüllen und sich um seine Standarte zu sammeln; denn die In teressen des Königs und der Nation seien dieselben. Aber auch die Gegner waren nicht müßig. Die Gesellschaft ^iäe-toi entfaltete eine außerordentliche Thätig. keit, Wahlvereine bildeten sich an allen Orten; die Losung: Wiederwahl der zweihunderteinundzwanzig wurde ausgegeben. Um diese Zeit machte das neapo litanische Königspaar von Madrid aus einen Besuch in Paris. Der Herzog von Orleans gab den Verwandten im Palais-Royal ein glänzendes Fest, dem auch Karl X. und die Dauphine beiwohnten. Der König begrüßte von der Glasgallerie aus die versammelte Menge. Da sagte Salvandy leise zu Louis Philipp: „Es ist ein wahrhaft neapolitanisches Fest, man tanzt auf einem Vulcan". Man konnte die Situation nicht richtiger bezeichnen. Noch in der selben Nacht erfolgten im Schloßgartcn unter den Augen der vornehmen Gäste tumultuarische Auftritte von Zerstörungen begleitet als Vorspiel kommender Dinge. Mitte Juli fanden die Wahlen statt. Die Opposition erhielt 272 Stimmen, darunter 202 von den 221 Deputaten der Adresse; die Regie rung nur 145. Mit einer solchen Kammer war ein Regiment Polignac-Pey- ronnet nicht möglich. Entweder mußte sich Karl X. zu einen, System- und Personenwechsel entschließen oder zu einer dem Staatsgrundgesetz widerstreben den Ausdehnung der Königsgcwalt greifen. Die erste Alternative widerstrebte seinem Herrscherstolz, gegen eine parlamentarische Monarchie wie in England hegte er die größte Antipathie; er hatte immer gesagt, man werde ihn wie einen Felsen finden, wenn man ihm seine Minister verschreiben wolle. So mußte man sich denn für den zweiten Fall einrichten, durch sophistische und gezwungene Deutung der Charte Waffen gegen die liberale Opposition zu schmieden suchen. Den Ministern war es wohl unheimlich zu Muthe: sie hielten viele erregte Berathungen. Aber der Feuereifer der Ultras und die Hoffnung, daß die Siegesbotschaft aus Algier das royalistische Gefühl der Nation entflammen werde, verscheuchten ihre Bedenken. Wie täuschte man sich, wenn man in den Triumphreden der klerikalen und royalistischen Eiferer,