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786 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julrrevolutro n. 2- A Am 2. März eröffnete der König die Kammersitzungen mit großer Pracht- D«K°N^U. x„tfaitung. Die Thronrede sprach zunächst von den auswärtigen Angelegen heiten und von der Nothwendigkeit eines Kriegszugs gegen Algier. um für die verletzte Ehre Frankreichs Genugthuung zu fordern. Dann auf die innere Lage des Landes übergehend las der König mit gehobener Stimme die Schlußstelle, die wie verlautete auf den ausdrücklichen Wunsch Karl's und seiner Vertrauten dem ministeriellen Entwurf bcigefügt worden: „Die Charte hat die öffentlichen Freiheiten unter den Schutz der Rechte meiner Krone gestellt. Diese Rechte sind heilig und ich habe meinem Volke gegenüber die Pflicht, sie ungeschmälert nieinen Nachfolgern zu hinterlassen. Pairs von Frankreich, Abgeordnete des Landes, ich zweifle nicht au Ihrer Mitwirkung zur Ausführung meiner guten Absichten. Sie werden die boshaften Unterstellungen, die das Uebclwollen zu verbreiten sucht, mit Verachtung zurückwciscn. Wenn strafbare Umtriebe meiner Regie rung Schwierigkeiten bereiten sollten, welche ich nicht voraussehen kann, nicht voraussehen will, so würde ich zu deren Ueberwindung Kraft finden in meinem Entschlüsse den öffentlichen Frieden zu erhalten, in dem gerechten Vertrauen der Franzosen und in der Liebe, die sie immer gegen ihren König bewährt haben". Es galt als eine verhängnißvollc Vorbedeutung, daß der König nach der Been digung der Rede in der erregten Stimmung den Hut zu Boden fallen ließ, den dann der neben dem Throne stehende Herzog von Orleans aufhob und mit ge bogenem Knie zurückgab. Die von der hohen Stelle gesprochenen Worte machten auf die Mehrheit der Depntirtenkammer einen peinlichen Eindruck. Sie kamen l». Ms,, ihr wie eine drohende Herausforderung vor. Die Antwortsadreffe, von einer Commission sorgfältig entworfen und von der Versammlung nach scharfen De batten mit 221 Stimmen gegen 181 angenommen, ließ dieses Gefühl deutlich genug hervortreten. Sie wurde von Roycr-Collard, der abermals zum Präsi denten gewählt worden, an der Spitze einer Deputation dem König in den Tuilericn vorgelcsen und enthielt, indem sie betonte, daß das zum regelmäßigen Gange der öffentlichen Geschäfte unerläßliche Zusammenwirken der Regiernngs- entschlüsse mit den Volkswünschen nicht bestehe, ein Mißtrauensvotum gegen das Ministerium mit dem verhüllten Hintergedanken, daß das constitutionelle Prinzip, wie es in England sich ausgebildet habe, dem König die Verpflichtung auferlcge, seine Räthe aus der Majorität der Kammer zu wählen. Im Ministcr- rathe war vorher die Frage erwogen worden, ob der König eine solche Adresse annehmcn solle. Man fand, daß es der Würde der Krone und dem Selbstver trauen der Regierung angemessen sei, dem Gegner nicht aus dem Wege zu gehen, daß man aber in der Sache nicht nachgcben dürfe. Und so hörte denn Karl die von dem Sprecher mit stockender unsicherer Stimme verlesene Adresse ruhig in gemessener Haltung an, sprach sein Bedauern aus, daß die Kammer ihm ihre Mitwirkung versage, versicherte sie aber zugleich, daß seine Entschlüsse unabänderlich seien und daß das Interesse des Volkes ihm verbiete davon abzu-