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782 8. Vom Wiener Kongreß bis zur Julircv olution. Septbr. 1828. Das Ministe rium Mar- tignac er- schüttelt. lands war ihm ein Abscheu; sie gab dem König in seinen Augen eine unwürdige Stellung. Die feinen Umgangsformcn und ritterlichen Manieren, welche seine Ver ehrer an ihm rühmten, waren nur Reste der alten Zeit und Bildung, welche in den Augen des neuen Geschlechtes geringen Werth hatten, die Milde und Herzensgüte, die man gerne hervorhob, war meistens nur Nachgiebigkeit und Schwäche gegen begünstigte Persönlichkeiten, und an die Witzworte und treffenden Bemerkungen, die als Be weise seines schlagfertigen Verstandes umhcrgetragen wurden, wollten die Zweifler nicht glauben. Unter den Hosleuten des zehnten Karl, die nur das Echo seiner Mei nungen und Wünsche bildeten, stand in seinem Vertrauen und in seiner Zuneigung der Fürst Polignac in erster Linie, Ein Sohn jener einflußreichen Freundin Marie Antoinette's, war er in der Hofluft herangewachsen, hatte die Leiden und Wechselstelle der Emigration von der ersten Auswanderung an kennen gelernt, hatte die Theilnahme oder Mitwisscnschaft der Pichcgru-Morcau'schcn Verschwörung durch zehnjährige Haft gebüßt. Unter der ersten Restauration gehörte er zu den Ultras, welche nur in der Rückkehr zu den alten Zuständen in Staat, Kirche und Gesellschaft das Heil der Welt erblickten, und wenn er sich auch allmählich dem Zeitgeist so weit anbequemte, daß er die Charte als den feierlichen Vertrag erklärte, auf dem Frankreichs monarchische Ein richtungen ruhten, „als das Himmelszcichen, das Ruhe und heiteres Wetter verkünde", so theilte er doch ganz die Grundansicht seines Herrn, daß das constitutionclle Staats leben der Suprematie des Königthums keinen Abtrag thun dürfe, daß das Grund prinzip der Charte in der ausgesprochensten Weise monarchisch sein, die öffentlichen Freiheiten unter dem Schutz der Thronrechte stehen müßten, „Von religiöser Verehrung für das Königthum erfüllt", sagt Rochau, „in welchem er den Schatten Gottes auf Erden sah, glaubte er von Oben herab berufen zu sein, die verkannte Majestät des Thrones in ihrem vollen Glanze wieder herzustellen und ihr den verlornen Nimbus der göttlichen Weihe zurückzugeben". In der Losung „Thron und Altar" sah er wie sein Herr und Meister die politische Weisheit des Tages, Er hatte keine große Ehrfurcht vor der Verfassung. Sein Blick hatte nicht über den Dunstkreis der Hosluft hinauszu schauen gelernt, bemerkt Louis Blanc; Arbeit, wohlfeiles Brod und geringe Steuern, meinte er. sei das Wesentliche einer Charte für das Volk, und gegen Widerstand sei bewaffnete Gewalt genug vorhanden. Im September besuchte der König das Lager von Lunevillc und bereiste dann die östlichen Landestheile seines Reiches, Lothringen und Elsaß, Die be geisterte Aufnahme und die glänzenden Feierlichkeiten, die ihm bei dieser Gelegen heit. besonders in der größtenthcils protestantischen Stadt Straßburg zu Theil wurden, brachten ihn auf den Glauben, diese Volksliebe gelte ihm persönlich, nicht dein System, die Landbevölkerung sei durch und durch königlich gesinnt, nur Paris stehe Dank der agitatorischen Thätigkeit der radikalen Kanimermit- glieder in der Opposition. Aehnliche Eindrücke brachte die Herzogin von Berry aus dem Westen zurück, wo die alten Streiter der Vendcekriege mit ihren Fahnen sich zu demonstrativen Huldigungen einfanden. Diese Eindrücke, verbunden mit dem Umschwung der Politik in London und dem Uebcrgewicht, das die Mettcr- nich'sche Staatskunst um diese Zeit von Neuem erlangte, weckten in den Tuile- rien das Gelüsten nach einer durchgreifenden Systemänderung, Die Minister gewahrten bald die Wirkungen dieses Umschlags. Sie konnten weder die Neu bildung des Staatsraths, noch die Veränderungen in den hohen Beamtenkrcisen