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778 B. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. 2. Liberalifirende Versuche und Umschlag. Enuassun^ So scharf die öffentliche Stimme das System Villele's verurtheilt hatte, " der kühne und ehrgeizige Staatsmann war nicht sofort entschlossen dem Sturm zu weichen, wenn der König standhaft zu ihm halten würde. Karl hatte ihm ein mal geschrieben: „Zwischen uns, mein theurerGraf, ist es auf Tod und Leben". Jetzt aber wurde der Monarch schwankend. Wenn die Dauphine und einige Ultraroyalisten die Entlassung Villele's für einen Fehlschritt erklärten, „mit dem der König die erste Stufe seines Thrones herabsteige", so hoben andere hervor, der Minister schwäche die königliche Autorität, indem er sie in den Ruf bringe, sie stehe im Dienste einer Partei, die der erklärte Feind der konstitutionellen Ord nungen sei. Der Ausschlag scheint auch diesmal wieder vom Auslande gekom men zu sein. Pozzo di Borgo, der es dem Ministerpräsidenten nie verzieh, daß er der Metternich'schen Politik den Vorzug gegeben, hatte bei dem Bourbonenhof wieder mehr Einfluß gewonnen und wußte durch den französischen Gesandten in St. Petersburg, Laferronays, einen bretagnischen Baron und Freund von Cha teaubriand, den König für den Plan einer Ministerveränderung zu gewinnen. Immerhin aber war die Bildung eines neuen Cabincts eine Schwcrgeburt. Viele Namen wnrden vorgeschlagen und verworfen, viele Combinationen angeregt und in Ueberlegung gezogen, bis man sich endlich über ein Ministerium einigte, welchem Martignac, ein gewandter, feingebildeter Staatsmann und trefflicher Redner von gemäßigt royalistischer Gesinnung und leichten eleganten Formen, als Leiter der inneren Angelegenheiten, den Namen gab und in welchem neben Chabrol und Frayssinvus, die noch kurze Zeit ihre bisherigen Stellen beibehielten, Portalis die Justiz und Laferronays das auswärtige Amt übernahmen. Villele wurde mit seinen bisherigen College« Peyronnet und Corbierc zur Pairie erho ben. Als der Dauphin dem bisherigen Ministerpräsidenten die Entlassung an kündigte mit dem Bemerken, sein Name sei so unpopulär geworden, daß er nicht ferner an der Spitze der Staatsgeschäfte bleiben könne, antwortete Villele: Gebe Gott, daß ich es bin. Er war der Ansicht, daß der Sturm der öffentlichen Meinung weniger ihm als dem königlichen Hause gelte. Und darin hatte er nicht ganz unrecht. Kurz nachher wurde Chateaubriand, dessen Name der König selbst von der ihm vorgelegten Ministerliste gestrichen, zum Gesandten bei dem römischen Stuhle ernannt und Vatismenil zum Großmeister der Universität und zum Minister des öffentlichen Unterrichts. Der Eintritt Hyde de Ncuville's au Chabrol's Stelle und die Ernennung Bellcyme's zum Polizcipräfekten von Paris, bildeten den Schluß der Neubildung des Cabinets Martignac. Das Mimst-, Das Ministerium Martignac hatte die schwierige Aufgabe, zwischen einer """-Aa-'. gesetzgebenden Macht, welche trotz großer Zerrissenheit und Spaltung in zahl reiche Gruppen und Fractionen, doch der Mehrheit nach freisinnigen constitu- tionellen Ansichten huldigte, und einem anders denkenden und anders handelnden