Volltext Seite (XML)
I. Reaktionäre Experimente u. revolutionäre Gcgenschläge. 775 in eine bestimmte Richtung zu leiten. Darum sollten die Kammern, die am Ende des Jahres eröffnet wurden, nachhclfen. Ein Gesetzentwurf „über Unter- AD"«-- drückung von Prcßvergehen" enthielt Bestimmungen, die geeignet schienen. die Presse in ihrem ganzen Umfange zu bändigen, die Tagesliteratur durch vor beugende Maßregeln zu beschränken und mehr zu überwachen. Nach dieser Vor lage sollte jede Druckschrift, je nachdem sie unter oder über zwanzig Bogen stark war, fünf oder zehn Tage vor der Ausgabe bei der Direktion des Buchhandels niedergclegt, Unterlassung mit Confiscation der ganzen Auflage und einer Geld buße von dreitausend Francs bestraft werden. Schriften von fünf Vogen und darunter sollten einem Stempel unterliegen. Damit waren noch so viele Neben- bcstimmungen harter und quälender Art verbunden, daß der ganze Entwurf den Eindruck machte, „als sei es auf die Vernichtung der gesammten, nicht blos der Tagespresse, als sei es auf die Erstickung aller Bildung und Intelligenz abge sehen, um das contrcrevolutionäre System im Sinne einer obscuren Priesterherr schaft immer folgerichtiger auszubilden". Die Vergehen der „Diffamation" waren so ausgedehnt und vieldeutig gefaßt, daß der Staatsanwalt überall eine Handhabe zu Verlcumduugsklagcn finden konnte. Die Vorlage erregte nicht nur bei den parlamentarischen Gewalten, sondern im ganzen Land und vor Allem in der Journalisten- und Schriftstellcrwelt Entrüstung, Unwillen und Widerspruch; man erblickte darin eine Entehrung der Nation. Aus allen Krei sen, die bei Druckerei und Buchhandel bethciligt waren, wurden zahllose Bitt schriften gegen das Manifest der Dunkelmänner an die Kammern gerichtet. Selbst die Akademie erhob in einer Vorstellung an den König ihre Stimme zu Gunsten der bedrohten Gedankenfreiheit. Die Vorstellung wurde jedoch zurück gewiesen. Es waren denkwürdige Sitzungen, in denen über die Lebensfrage der modernen Gesellschaft auf der Tribüne der französischen Nationalvertretung ver handelt ward; in ganz Europa folgte man mit Spannung den parlamentarischen Ausführungen. Unter den Gegnern nahm Noyer-Collard die erste Stelle ein. „Seine Rede über das Prcßgesetz, ergreifend durch die Höhe ihrer Gesichtspunkte, durch die reine Form und den großen Stil, die alle Reden des Mannes aus zeichneten , war es noch mehr durch die ungewohnte Kühnheit ihrer Einsprache und die drastische Wirkung einer niederschmetternden Apostrophe an die Minister". Dennoch erhielt das Gesetz, wenn auch vielfach verändert, in der servilen Abge ordnetenkammer die Mehrheit. Dagegen wurden in der Pairskanimer von einem Broglie, Portalis, Bastard u. A. so zermalmende Schläge gegen das Werk ge richtet, welches der Minister Pcyronnet „das Gesetz der Gerechtigkeit und Liebe", Chateaubriand dagegen ein „vandalisches" nannte, daß die Regierung die ganze Vorlage zurückzog. Dieser Ausgang wurde in Paris und überall in Frankreich >7. April wie ein nationaler Sieg mit Freudenfesten und Illuminationen gefeiert. Kurz nachher hielt Karl eine Musterung der Nationalgarde ab. DaAK'gp., hörte er neben dem Rufe: „Es lebe der König!" auch den Ruf: „Nieder mit