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I. Rcactio närc Experimente u. revolutionäre Gegen sch läge. 773 daß der gerade in Paris anwesende Metternich darüber seine Verwunderung anssprach und meinte, auf einen solchen Act hin würde man in Oesterreich den geistlichen Herrn in ein Seminar eingespcrrt haben. Es schien als ob die Jesui ten und ihre Gesinnungsverwandten Regierung und öffentliche Meinung völlig unter die Fittiche Roms bergen wollten. Dieser Uebermuth und Siegestrotz der Extremen erzeugte unter dem französischen Klerus selbst eine Spaltung. Der gemäßigtere Thcil der Priesterschaft, den Erzbischof Quelen von Paris an der Spitze, trat den jesuitischen Uebertreibnngen entgegen und suchte, ohne jedoch den kirchlichen Interessen irgend etwas zu vergeben, mit der Regie rung und den Staatsgesetzen sich auf dem Friedenssuß zu halten. Um diese Zeit machte auch der Abbe Felicitas Lamennais, bisher einer der eifrigsten Vorkämpfer des Romanismus, die Wandlung, die, wie wir später erfahren werden, ihn in die Arme der Demokratie führte. Villele suchte das Staatsschiff zwischen den beiden Klippen, Ultramontanis- mus und Liberalismus, als kluger Steuermann möglichst sicher und ungefährdet durchzuführen. Aber die Presse machte ihm das Geschäft sehr schwer. Mochte er immerhin hohe Geldsummen aufwenden, um die einflußreichsten Zeitungen für den Dienst der Negierung zu erwerben; es blieben noch Oppositionsblättcr genug übrig oder wurden neugegründet, die seinen Bestcchungskünsten wider standen. Mochte er noch so viele Tendenzprozeffe kraft des Gesetzes vom Jahre 1822 anstrengen, bei den Gerichtshöfen, in denen das Gefühl der Standesehre, der Würde und Macht der alten Parlamente mehr als je sich regte, war es nicht leicht Strafurtheile zu erlangen; auch die Censur, die in gewissen Fällen gesetzlich zulässig war, erwies sich als ohnmächtig gegenüber der immer kühner auftretenden oppositionellen Tagesliteratur. Selbst der alte Gras Montlosier, den wir bereits als royalistisches Mitglied der Constituante kennen gelernt, der .seine königstreue Gesinnung durch mehrjährige Emigration bewährt hatte, ein Freund und Gesinnungsgenosse von Gentz, trat gegen die feudal-hierarchischen Tendenzen des Tages in die Schranken. Eine keineswegs in aufregender oder anziehender Form verfaßte Flugschrift, worin er die Congregation, die Jesuiten, ML-, egrs. die Ultramontanen und die anmaßungsvolle „Priesterpartei" als die vier großen „Landplagen" des Königreichs denuncirte, erlebte in wenigen Wochen eine Reihe von Auflagen. Die ministerielle Vertheidigungsrede, welche Frayssinous in der Kammer vortrug, konnte weder die Ausschreitungen der Congreganisten noch die Existenz der Jesuiten und anderer vor der Gesetzgebung nicht zulässigen Orden auf französischem Boden wegleugnen. Und selbst die siebenjährige Deputirtcn- kamnier, die man vor zwei Jahren mit so großen Anstrengungen und Wahl- küusten aus royalistischen, konservativen und klerikalen Elementen zu Stande ge bracht hatte, war dem Villelc'schcn System nicht mehr ganz dienstbereit. Als der Minister eine neue Aristokratie aus Besitzer» geschlossener Güter mit dreihundert Francs Grundsteuer als Stütze der Regierung schaffen wollte und zu dem Zweck einen Gesetzentwurf „über Erstgeburt und Herstellung von Substitutionen" ein-