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688 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. gelitten. Eine patriarchalisch-landesväterliche Regierung, ersprießliche materielle Verhältnisse, industrieller Aufschwung trösteten über die Stagnation der politi schen Zustände; von einer auf Reformen dringenden Volksstimmung war wenig zu bemerken. Die neue Souveränetät der Napoleonischen Zeit war nicht benutzt worden, die alte Verfassung umzustürzen; ebenso wenig wurde jetzt in der Re- staurationsperiode eine Aenderung vorgenommen. Kaum daß es im I. 1817 zu einem vereinigten Landtag der sogenannten erbländischen Landschaft mit den Ständen der bei Sachsen gebliebenen Theile der Oberlausitz, der Stifter Merse burg und Naumburg kam. Auf diesem gänzlich verrosteten und vertrockneten Landtag herrschte die kleinlichste unfruchtbarste Eifersucht und Absperrung der einzelnen Stände gegen einander, der Prälaten, Grafen, Ritter, Städte, die in völlig gesonderten Abtheilungen beriechen, ein unmäßiges Ueberwuchern des Adels, die unbilligste Ausschließung der weitesten und social bedeutendsten Volks klassen von der Landtagsfähigkeit, eine Privilegienwirthschaft, so starr und un gerecht wie nur irgendwo in Deutschland. Dabei eine beispiellos schleppende Geschäftsbehandlung, welche die wichtigsten Angelegenheiten Jahrzehnte lang in der Schwebe ließ. Ein halbes Jahrhundert lang schleppte sich die dringend nöthige Reform der Prozeßordnung hin, ohne zum Abschluß kommen zu können. Die altadlige Ritterschaft schloß die neuadligen und bürgerlichen Gutsbesitzer von der Vertretung auf dem Landtag aus; das Bürgerthum war nur durch Stadt- räthe vertreten, die sich selbst ergänzten und in ihrer Abschließung von einer freien Repräsentation der Bürgerschaft weit entfernt waren. Höchstens die kirchlichen Fragen, die bei der zunehmenden Propaganda und den wachsenden Ansprüchen der katholischen Geistlichkeit, sowie ihrer Begünstigung seitens der Regierung den religiösen Frieden störten, regten diese Stände bisweilen auf und riefen die Theilnahme des Volks an ihren Verhandlungen wach. Was im sächsischen Landtag möglich war, zeigte der in vollem Ernst gestellte Antrag, den Bauern durch ein Gesetz den Anbau der Sommerfrüchte zu beschränken zum Besten der Heerden der Rittergüter. Dienstzwang, Frohnden, Patrimonialgerichtc drückten die Bauern aufs Schwerste. Erst im Gefolge der Julirevolution wurden ernst liche Schritte zu einer Reform dieser völlig erstarrten Verfassung gethan, namcnt- ,^Antcn^i. llch als König Anton, der Bruder Friedrich August's I., ein bereits über sieb zigjähriger, frommer und gutmüthigcr, aber indolenter Herr, seinen Neffen Friedrich August II. zum Mitregcntc» annahm. Die kirchlich-reactionäre Rich tung König Anton's, die sich in der Aufnahme der Jesuiten, in der Begünsti gung katholischer Kirchen und Schulen, in der Förderung aller ultramontanen Bestrebungen kundgab, erschütterte nachgerade selbst die Loyalität dieses gutpro- tcstantischcn Volkes. 2, Hamiov-r. Stürmisch und gewaltsam trat die Restauration in Hannover auf, das auf dem Wiener Congreß die Königskrone annahm, ohne darum aber eine selbständigere Stellung in der Personalunion mit England zu gewinnen. Die