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I. Neactionäre Experimente u. revolutionäre Gegen sch läge. 677 herrschte meist starre Unbeweglichkeit, Rückkehr zu den aristokratisch-absolutistischen Staatsordnungen, zum Adels- und Bcamtenregiment, die Politik einer Restau ration, welche wähnte, die Umwälzungen einer langen Gcschichtsperiode einfach ignoriren zu können; in den süddeutschen Staaten dagegen herrschte Bewegung, Neuerung und Unruhe. Dort bestanden die neuen Grundgesetze, wenn solche überhaupt zu Stande kamen, besten Falls aus einzelnen Bestimmungen über die Zusammensetzung und die Rechte der Stände, hier aus einer Kodifikation des gesammten öffentlichen Rechts. Dort beruhte das ständische Wesen meist auf der mittelalterlichen Basis der Vertretung einzelner bevorrechteten Corporationen und Klassen, besonderer Rechte und Interessen, hier auf dem Prinzip einer Reprä sentation des gesammten Volks bei Ausübung der Staatsgewalt, nach dem Muster der französischen Charte, die meist auch in der Errichtung doppelter Kammern, der Pairs und der Deputaten, nachgeahmt wurde. Dieser Gegensatz entsprang einmal aus der leichteren, erregbareren, heißblütigeren Volksnatur der Süddeutschen gegenüber der conservativeren und stabileren Anschauung der Nord deutschen. Cr erklärt sich aber auch aus den verschiedenen Schicksalen, welche die Napolconischc Zeit über die deutschen Länder gebracht hatte. Im Norden waren die meisten Fürstenhäuser verdrängt gewesen, das Napolconischc König reich Westfalen hatte die besten Länder im Norden und Westen umfaßt. Es fand hier eine Restauration der legitimen Dynastien statt, die ihren Haß gegen die Franzosenzeit in der rücksichtslose» Wiederherstellung des ganzen alten We sens auch in seinen erstarrtesten und vertrocknetsten Formen auf Kosten vieler entschieden wohlthätiger Neuerungen kundgaben. Anders im Süden, wo die Fürsten unter der Fremdherrschaft groß geworden, wo sie eher Sehnsucht nach jener Zeit als Haß gegen dieselbe trugen, wo die neuen Gestaltungen im We sentlichen nur eine Sanction eines seit Jahren verfolgten Entwicklungsprozesses, nicht einen plötzlichen Umschwung darstcllten, wo die Verbindung der verschie denartigsten Staatsbestandthcilc die Rückkehr zum Alten unmöglich machte, wo es vor Allem galt, in den bunt zusammengewürfelten Gebietstheilen das staat liche Gemeingefühl, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu wecken, wo die Reaction gegen die vergangenen Umwälzungen alle Ansprüche der mediatisirten Rcichsstände, die ja vorzüglich ini Südwesten ihren Sitz hatten, wieder hätte aufleben lassen. Wenigstens der vollen Erstarrung alles staatlichen Lebens in Deutschland vorgebcugt zu haben, ist ein Verdienst der süddeutschen Negierungen, Stände und Stämme. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß gerade jene Fürsten, die auf dem Wiener Congrcsse im Gegensatz zu Preußen alles Verfas sungswesen, namentlich wenn es vom Bunde ausging, mit Eifer bekämpften, zuerst auf der Bahn freierer Staatsordnungen vorangingen. Es erklärt sich dies aus den angedeutcten Thatsachen, aus der Erkcnntniß, daß die eigenartigen Verhältnisse und Stimmungen dieser Länder ein freieres politisches Leben drin gend erheischten; überhaupt war hier mit den alten Zuständen so vollständig