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I. Reactionäre Experimente u. revolutionäre Gegenschläge. 675 ernannt zur Berathnng, was zur Ausführung dieses Artikels zu thun sei; die selbe begnügte sich aber mit der Erklärung, daß es ihr zur Entscheidung dieser Frage an den nöthigen Dorkenntnissen mangle. Von Einheit der Münze, der Post, des Maaßes und Gewichts war kaum die Rede. Was auf dem Gebiete der Vcrkchrserleichterung in jenen Jahren geschah, wie die Elbe-, Weser- und E. rs. sr. Rheinschiffahrtsacte, kam durch Scparatvcrträge der betheiligten Regierungen zu Stande. Kein Gebiet staatlicher Thätigkeit verträgt unter fortgeschritteneren Cul- turverhältnissen so wenig die Beschränkung auf kleine Kreise wie die Beziehungen des Verkehrs, des Handels, des Gewerbewesens, überhaupt des wirthschaftlichen Lebens. Und doch verurtheilte sich gerade auf diesem Gebiete der Bund selbst zur absoluten Unthütigkeit. Nicht einmal in dem entsetzlichen Hungcrjahr 1817 vermochte er eine Aufhebung der gegenseitigen Ausfuhrverbote zu erwirken. Die Anregung zu einer commerciellcn Einigung, die Baden schon auf dem Karlsbader Congreß gab, blieb ohne Wirkung. Die gegenseitigen wirthschaftlichen Beziehungen der deutschen Staaten befanden sich in jener Zeit in dem Zustand unhaltbarster Zer splitterung, Unsicherheit und Unvernunft. Partikularistische Eifersucht wirkte mit Mangel an Volks- und staatswirthschaftlicher Einsicht zusammen, um die unleid lichsten Zustände des Verkehrs zu Wege zu bringen. Achtunddrcißig Zolllinien zerrissen Deutschland; in manchen Ländern kamen noch Binnenzölle und innere Mauthen in den einzelnen Provinze» hinzu. Der Schmuggel mit allen seinen entsittlichenden Wirkungen gedieh zur höchsten Blüthe. Das deutsche Jndustrie- leben, im Innern eng geknebelt, von den auswärtigen Grenzen durch das in ganz Europa herrschende Prohibitivsystem zurückgescheucht. verkam in trostloser Weise, während seit Aufhebung der Continentalsperre englische Fabrikate den deutschen Markt überschwemmten. Der Druck und Zwang der Verhältnisse führte dann zu verschiedenen VersuchenWU' der Abhülfe, nicht aber durch den Bund, sondern durch Verständigung einzelner " ^ Staaten; stockend, tastend und zögernd schritten diese Bestrebungen voran, langsam, doch aber mit unwiderstehlicher Naturgewalt über allen Widerstand sich Bahn brechend. Preußen ging, wie wir sehen werden, auf dem Wege eines gemäßigten Freihandels erfolgreich voran. Die völlige Aufhebung aller deutschen Binnenzölle und die Grün dung eines allgemeinen Zollvereins, eine Idee, für die damals namentlich der würtem- bergische Nationalökonom Friedrich List an der Spitze des deutschen Handclsvereins wirkte, fand in der öffentlichen Meinung und auch bei einzelnen einsichtigeren Regie rungen immer mehr Eingang. Die Eifersucht auf die ungeschmälerte Souveränetät auch in diesem Gebiet der materiellen Wohlfahrt war das stärkste Hinderniß, zu einer größeren Einigung zu gelangen. Rur da und dort, wo der Zwang der Verhält nisse gar zu stark drängte, kamen frühzeitig kleine Zollanschlüfle zu Stande, wie z. B. in Schwarzburg-Sondcrshausen, das sich im Jahr 1819 in das preußische Zollsystem aufnehmen ließ. Dagegen zeugte der Jahrelang beim Bundestag hingeschleppte Zoll streit zwischen Preußen und Anhalt-Köthen von der ganzen Unnatürlichkeit dieser Ver hältnisse und der Halsstarrigkeit der kleinen Souveräne. In den zwanziger Jahren hatten die Bemühungen um eine commcrciclle Einigung Deutschlands oder doch eine Zusammenfassung größerer Gebiete ununterbrochenen Fortgang. Ein HandclScongreß 43*