I. Rcactionäre Experimente u. revolutionäre Gcgenschläge. 667 heit durch eine feste über allen einzelnen Bundesstaats-Souveränetäten stehende Centralgewalt gemacht hatte: natürlich aber nur im Sinne des monarchischen Prinzips und als Kraftmaßregel gegen die demagogischen Umtriebe der Völker. Die Bundesversammlung war jetzt eine gewaltige Polizeibehörde auch für die inner» Angelegenheiten der Bundesstaaten; sie war zu Allem compctent, was das monarchische Prinzip und die Regierungen verlangten; sie war aber stets versehen mit einer Jncompctcnzerklärung, wo es sich um Rechte und Strebungen des Volks handelte". In der Angst vor einer Gefährdung des monarchischen Prinzips durch die Revolution, nahm mau Souveränctätsbeschräukungeu mit Leichtigkeit hin. die den nationalen Bedürfnissen gegenüber aufs Schroffste zu- rückgcwiescn worden wären. Nur der würtembergische Gesandte, Graf Wintzin gerode, war schon im Schooße des Karlsbader Rathes bemüht, den österreichi schen Eingriffe» in die Landessouveränetät Widerstand zu leisten; die Eifersucht gegen die Großmächte trieb Würtcmberg und die andern süddeutschen Regie rungen in verhältnißmäßig liberale Bahnen. Die Karlsbader Rcpressivmaß- rcgeln wurde» hier lauge nicht so scharf ausgeführt wie in Norddcutschland; die Angst vor den Demagogen lag hier in einem seltsamen Conflikt mit dem Stre ben, im Gegensatz zu den Großmächte» der volksthümlichen Strömung entgegen- zukommen. Aber zu einer energischen Abwehr vermochte sich doch auch der süddeutsche Liberalismus nicht aufzuschwingen. Diese Beschlüsse, die wegen einzelner verirrten Jünglinge das schwere Geschütz der ganzen staatspolizeilichen Gewalt aufboten und das geistige Leben der gesammten Nation mit einem Bann belegten, brachten im Volke große und berechtigte Entrüstung hervor. Es war reiner Hohn, wenn feile Sophistenfcdern, wie die von Gcntz, den Geist der Karlsbader Beschlüsse als den einer wohlverstandenen Volkslicbe und bürger lichen Freiheit darstellten. Nichts hat mehr die Entfremdung und den Argwohn der Völker gegen die Fürsten, Regierungen und Obrigkeiten geschürt. AuS solchen Verhältnissen mußte, wie Niebuhr voraussagte, ein Leben ohne Liebe, ohne Patriotismus, ohne Freude, voll Mißmuth und Groll zwischen Regierun gen und Uuterthanen entstehen. Achulich äußerte sich Stein über diese Politik. Namentlich das Verfahren gegen die Universitäten, in denen von jeher ein Pal ladium des Geisteslebens der Nation erkannt wurde, rief allgemeine Entrüstung hervor. Selbst im preußischen StaatSministerium bezeichnet Humboldt die Karlsbader Beschlüsse als „unuational, schändlich, ein denkendes Volk aufre gend". und drang auf eine Anklage gegen Bcrnstorff. Im Verein mit den Mi nistern Bcyme und Doyen beantragte er de» Rücktritt von jenen Beschlüsse»; aber es erfolgte ein ungnädiger Bescheid des Königs und die drei opponirenden Minister schieden aus dem Amt. Der Demagogenverfolgung gaben die Karlsbader Beschlüsse neue Nah-D-m»gog«n. rung. Was nach der Sand'schen Zhat und diesen böhmischen Ministerconfe- renzen geschah, hat auf Jahrzehnte das politische Leben in Deutschland vergiftet.