I. Reaktionäre Erperi mente u. rev olutionäre Gegenschläge. 627 der künftigen Staatsordnung der Entscheidung eines demnächst einzuberusenden freien Parlaments anheimstcllte. Dieser Vertrag, der doch immer noch die Mög lichkeit eines getrennten politischen Lebens offen ließ, mißfiel in Neapel. Die demokratischen Unionisten, die in der um dieselbe Zeit zusammengetretenen Ständeversammlung die Stimmenmehrheit besaßen, setzten es durch, daß die Uebereinkunft verworfen, Florestan Pepe abberufen und eine Art Militärdictatur unter General Colletta angeordnet wurde. Die Sicilianer wurden zur Ent sendung von Abgeordneten in das Parlament von Neapel aufgefordert, aber nur Messina kam dem Rufe nach. Im Vergleich mit den Ausschreitungen auf Sicilien hielt sich in Neapel die HEng.r-r Revolution noch immer in den Schranken der Mäßigung, die sie von Anfang'En R°g>e- an bewiesen: Dies geschah hauptsächlich durch die Macht und den Einfluß der N-apei. Carbonari und ihres Führers W. Pepe. Der Geheimbund, der nach und nach durch neue Aufnahmen zu einer Höhe von dreihunderttausend Mitgliedern an- wuchs, hatte mit seinen tausend Abtheilungen oder Venten, die an dem Mutter club in Neapel durch eigene Vertreter betheiligt waren, eine Bedeutung für die Gestaltung der öffentlichen Zustände, wie in der französischen Revolution der Jacobinerclub. Der Carbonaribund hielt die Straßendemagogie und das agi tatorische Treiben der Volksredner in Schranken; er gab die Parole aus, wie sich Jedermann in Beziehung auf die öffentlichen Lasten und Pflichten zu ver halten habe; er übte auf die Polizei, auf die Organisation der Bürgerwchr, ans die Vervollständigung des Heeres den wohlthätigsten Einfluß ; er setzte durch seine Unterstützung die Regierung in Stand, die anarchischen Regungen in den Pro vinzen niedcrzuhalten und einige obrigkeitliche Autorität zu wahren. Mit Hülfe der „guten Vettern" erlangte W. Pepe eine „halbdictatorische Mittelstellung zwi schen Volk und Hof". Wohl fehlte es auch in Neapel nicht an revolutionären und terroristischen Ausschreitungen, und oft genug gebrauchten die Gewalthaber ihre Macht zu Gunsten der eigenen Parteigenossen und gegen die offenen oder geheimen Widersacher; dennoch bewahrte das neue konstitutionelle Regiment in Neapel mehr Ordnung, Rechtssinn und Selbständigkeit als die Cortesregicrung in Madrid. Die große Mehrzahl der Gebildeten gehörte der liberalen Partei an, sei es in Aufrichtigkeit des Herzens, sei es aus Furcht, Egoismus oder an dern Beweggründen. So kam cs, daß weder eine absolutistisch-klerikale Eama- rilla, noch eine agitatorische Demagogie gegenüber dem herrschenden Liberalis mus zu Macht und Einfluß gelangen konnte und daß man selbst in Wien sich anfangs einer vorsichtigen und gemüßigten Haltung befliß, so wenig man auch in der Hofburg gewillt war, auf die Dauer ein aufgeregtes parlamentarisches Staatslcben in Italien zu dulden, den Revolutiousstoff in der Halbinsel sich ungehindert entwickeln zu lassen. Eine Verfassung in Neapel schien mit der Ruhe des lombardo-venctianischen Reiches und mit der Vorherrschaft Oesterreichs in Italien unverträglich, und eine siegreich durchgeführte Militärrevolution war ein 40*