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I. Reaktionäre Experimente u. revolutionäre Gegen schlage. 619 Gesandten Karl von Dalberg bildete den Vereinigungspunkt der freisinnigen Jugend der höheren Stünde, welche die nationalen und liberalen Ideen und Hoffnungen als thcuern Schatz hegte und für künftige Zeiten aufbcwahrte. Je mehr der Hof und die alten Staatsmänner den politischen Stillstand und die Institutionen einer vergangenen Zeit festzuhalten bestrebt waren, um so sorg fältiger nährte die jüngere Generation das patriotische Feuer. In der Armee, wo in dem Offizierstande die Napoleonische» Erinnerungen fortlcbten, bei der Turnier Studentenschaft, wo die freisinnigen Ideen durch den absolutistisch-kle rikalen Despotismus nicht erstickt werden konnten, erhielt sich eine nationale und liberale Gesinnung in scharfer wenn auch vorsichtiger Opposition gegen die Met- tcrnich'sche Politik. Selbst ein Glied der herrschenden Dynastie, Karl Albert, Prinz von Carignan, gehörte diesen liberalen Adelskreisen an. Obwohl einem entfernten Nebcnzweige des savoyischen Rcgentenhauses entsprungen, stand der fürstliche Sprößling, dessen Vater während der Franzosenzeit in der Natio nalgarde gedient, von dessen Mutter man sagte, sie habe einmal die Earmagnole um den Freiheitsbaum getanzt, der selbst in Genf und Paris eine freisinnige - Erziehung erhalten hatte, doch dem Throne nahe, da sowohl der regierende König Victor Emanuel als sein Bruder Karl Felix ohne männliche Nachkommen waren. Darum tauchte auch in den reaktionären Kreisen wiederholt der Gedanke einer Veränderung des Erbfolgegesetzcs auf. Erzherzog Franz IV. von Mo dena, Stifter der habsburgisch-estischen Linie, ein eifriger Förderer der Metter- nich'schcn Staatskunst, und durch seine Gemahlin, eine Tochter Victor Ema- nuels, dem savoyischen Herrscherhause verwandt, war im Stillen ausersehen, den liberalen Thronerben zu verdrängen, obgleich auf dem Wiener Kongreß dessen Anrecht ausdrücklich und vertragsmäßig anerkannt war. 2. Das Königreich beider Sicilien. Der Wiener Kongreß hatte den alten Titel eines „Königs beider Sicilien", welchen Ferdinand IV. bei seiner Rückkehr nach Neapel annahin, anerkannt, stamauon. Dies legte der Bourbonsche König als eine Anerkennung der Verbindung beider bisher stets getrennt gehaltenen Staaten in Einen aus oder wie er sich später einmal ausdrückte: „der Vereinigung aller königlichen Domänen in Ein Reich", und nannte sich Ferdinand I. Zugleich gab er in einem Vertrag der österrcichi- AA""' scheu Regierung die Zusicherung, daß er „keine Veränderungen zulassen wolle, die mit den alten monarchischen Einrichtungen oder mit den von der k. k. Maje stät für die innere Regierung der italienischen Provinzen angenommenen Grund sätzen unvereinbar wären". Danach war es natürlich, daß die sicilische Verfas sung, zu der Ferdinand durch Lord Bentinck genöthigt worden (S. 388ff), nicht in Geltung bleiben konnte. Die Erinnerung an die unwürdige Nolle, zu der Ferdinand damals durch den übermüthigen Engländer gedrängt worden, brannte wie Narben früher getragener Ketten auf dem Bourbonschen König und machte