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I. Reactionüre Experimente u. revolutionäre Gegenschläge. 615 eintrat. Wie bald verschwanden nun in der Mailänder hohen Gesellschaft jene Sympathien für Oesterreich, die im Anfang der Besitznahme so ostentativ her- vorgetretcn! Der reiche Graf Friedr. Coufalonieri, einst einer der feurigsten Parteigänger Habsburgs, wurde nach wenigen Jahren das thätigste Haupt der malcontcnten Partei. Dieses absolutistisch-monarchische System mit seiner allmächtigen Beamten-^ D,-mck- Herrschaft, das dem Volke in der patriarchalischen Auffassung, in dem doppelten Charakter eines Herrn und Vaters gegenüber stand, konnte nur dann recht ge deihen und festen Boden fassen, wenn die übrigen italienischen Staaten nach dein gleichen System regiert wurden, ja wenn der rückgängige Geist in denselben noch unverhüllter und schroffer hervortrat. Darum war die österreichische Re gierung bemüht, das politische Uebergewicht und die verwandtschaftliche dyna stische Verbindung des Habsburger Herrscherhauses zur Begründung gleichför miger Staats- und Rcgierungsordnungen zu benutzen. Sie wußte zu bewirken, daß die französischen Einrichtungen und Institute, die mehr oder minder auf dem Grundsätze der Selbstbestimmung, einer Bctheiligung des Volkes und der Gemeinden an dem öffentlichen Staats- und Gerichtsleben aufgebaut waren, allenthalben beseitigt, alle körperschaftlichen Vertretungen und konstitutionellen Formen fern gehalten wurden, der ganze Verwaltungsorganismus den Charakter eines patriarchalisch - bureaukratischen Regiments empfing. Am wenigsten trat dieses Metternich'sche System in Toscana ins Leben, so nahe auch Großhcrzog los-am. Ferdinand III. dem Wiener Kaiserhofe verwandt war. Als er von Würzburg Ag. nach Florenz zurückkchrte, ließ er eine Amnestie vorausgehen, und der leitende Staatsmann Fossombroni, ein skeptischer Weltmann, der seinen Geist mit den Ideen der französischen Ausklärungszcit genährt, hielt so viel als möglich die Errungenschaften der Leopoldinischen Zeit aufrecht. Freilich wurde auch in Toscana der Code Napoleon mit geringen Ausnahmen beseitigt, keine Rcprä- sentativverfassung gewährt, das öffentliche Leben durch die Polizei scharf be wacht, die obrigkeitliche Autorität der Regierungsorgane weit ausgedehnt ; aber in dem geistigen Leben, in der Literatur und Wissenschaft, in der Presse, im Buchhandel und in wirthschaftlichen Dingen huldigte man in Florenz liberaleren Grundsätzen. Der gebildete Staatsmann Gino Capponi, einem altflorcntini- schen Adelsgcschlecht entsprossen, bildete den Mittelpunkt einer edlen Gesellschaft von freieren Anschauungen, der sich flüchtige Patrioten aus andern Ländern der Halbinsel anschlossen. Doch war der Einfluß der österreichischen Politik des Ueberwachcns und Dämpfens auch in Toscana merkbar genug, so daß strenge Bcurtheiler das Regicrungssystem beschnldigcn konnten, „es diene nur, das Volk in äußerem Wohlsein, unter einer anständigen väterlichen Despotie zu erschlaffen und in jener gedankenlosen Ruhe, jener sittlichen Verweichlichung zu erhalten, in die es das Alter seiner Geschichte und die lange Entwöhnung jeder Theilnahme an großen Weltercignissen versenkt hatte. Nur die feine Eifersucht gegen fremden