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578 L. Vom Wiener Kongreß bis zur Julirevolution. beten eine Polizei- und Beamtentyrannei, die an die Schreckenstage der Revo lution erinnerte. Hochverrathsprozefse, nächtliche Haussuchungen, Gefängniß- strafen, Ortsverweisungen waren tägliche Vorkommnisse in allen Städten und Provinzen. Die Zahl der bis Ende August 1815 vorgenommenen Verhaf tungen ward auf 70,000 Personen angeschlagen und Marschall Maison konnte sich in einer Denkschrift an de» König rühmen, daß er in Paris allein mehrere hundert Militärs habe in Haft bringen und fast 20,000 überwachen lassen. Gleichen Eifer entfalteten die Präfecten gegen verdächtige Beamten und Maires. Amtliche Gewaltthat trat an die Stelle des persönlichen Rechts. Präfecten wie Montlivnut und Trouve von der Jsere und Aude, wie der Marquis Villeneuve vom Cherdepartement erinnerten an die blutigen Assisen des englischen Ober richters Jeffreys (XII, 519f), wie die „unfindbare Kammer" an das „Cava- lierparlament" nach der Restauration der Stuarts (XII, 256). Durch die politischen Prozeße vor den Ausnahmegerichten wurden dem neuen M-ü undJ»»i Moloch viele Opfer dargebracht. Eine unbesonnene Verschwörung eines Advokaten ^'5. Didier in Grenoble im Interesse des Herzogs von Orleans, hatte nicht nur die Hinrich tung des Urhebers, den einige Genossen wegen des hohen Kopfpreises auslieferten, zur Folge, sondern brachte auch zweiundzwanzig meistens blutjunge Leute, deren Schuld sehr zweifelhaft war, auf das Schaffot. Zin nächsten Monat wurden in Paris drei andere Verschwörer mit der Strafe der Vatermörder hingerichtet, ohne daß der An kläger, der im Dienste der Polizei stand, ihnen bei dem gerichtlichen Verhör gegenüber- gestellt worden wäre, und noch im Jahr 1817, als schon das System des „weißen Schreckens" durch Veränderungen im Ministerium und in der Gesetzgebung abgcschwächt mar, wurden in Lyon auf Grund provocatorischer Umtriebe und zweideutiger Denun- ciationen etliche hundert Personen in Haft und Untersuchung genommen und mehrere davon als Verschwörer hingerichtet. Die Lyoner Gerichtsgräuel, wobei General Canuel, Militärbefehlshaber in der Rhonestadt, der sich wie Donnadieu in Grenoble durch royalistischen Eifer bei dem Pavillon Marfan in Gunst zu setzen suchte, eine sehr zwei deutige Rolle spielte, bewogen endlich das Ministerium den Marschall Marmont in außerordentlichem Auftrag zur Untersuchung der Sachlage nach Lyon zu schicken. Dieser erkannte aus den Nachforschungen, die sein Adjutant Oberst Fabvier anstellte, daß die angeblichen Verschwörungen großentheils auf die Anreizungen von Polizei agenten zurücksührten, in der boshaften Absicht, eine künstliche Gährung hervorzurufen, um die Regierung zu energischeren Maßregeln zu treiben. Der Gerichtsgang wurde eingestellt, aber die Todtcn konnten nicht wieder erweckt werden. Die Enthüllungen über die eigentlichen Triebfedern der Lyoner Unruhen, welche später Fabvier in der Zeitschrift „Historische Bibliothek" veröffentlichte, entzündeten die Parteiwuth bis zu Jnjurienprozessen und Zweikämpfen. — Der Herzog von Orleans hielt es für gerathen, seinen Aufenthalt in London zu nehmen. L°ngicq<.ii°>> Hand in Hand mit der Polizei- und Beamtentyrannei und den politischen " Mission! Gcrichtsverfolgungen ging der Fanatismus einer bigotcn rachsüchtigen Pricster- schaft, die mit Hülfe der Hof-Congregation den religiöse» Unglauben und die Gleichgültigkeit des Volks gegen die Lehren und Cultusgebräuche der katho lischen Kirche zu unterdrücken bestrebt war. Der König, obwohl im Herzen ein