I. Reactionäre Experimente u. revolutionäre Gegenschläge. 569 tativ-System, wonach die Regicrungsgcwalt an die Zustiimnung der auf Land tagen versammelten Volksvertreter oder Landstände gebunden ist, in den mittleren und kleineren Staaten die vorherrschende Verfassungsform in Europa und fand selbst in solchen Ländern vorübergehend Eingang, wo Herkommen, Nationalcharakter oder mangelhafte Volksbildung einer erfolgreichen Wirksam keit entgegenstanden. Von den Großmächten fügte sich, außer dem altcon- stitutionellen parlamentarischen Rechtsstaat England, nur das wiederhergestellte Bourbonsche Frankreich der neuen Staatsform, aber mit innerer Abneigung von Seiten der herrschenden Klassen und mit steter Abschwächung und Ver kümmerung der in der Charte festgesetzten Volksrechte. Oesterreich dagegen, wo ein Convolut von Nationalitäten und Volksstämmen zu einem monarchischen Reich verbunden war, schloß das neue Verfassungswesen sorgfältig von seinen Ländern aus und hielt unter dem bestimmenden Einfluß des Staatskanzlers Metternich an dein patriarchalisch-absolutistischen Regierungssystem fest. Denn die in einzelnen Gebietstheilen der Monarchie bestehenden oder neu eingerichteten Landstände mit vorwiegender Vertretung des grundbesitzenden Adels hatten nur das Recht, die Steucrforderungen der Regierung zu bewilligen und zu ver stellen. Auch in Preußen sträubte sich der Hof und die Aristokratie den Forde rungen der öffentlichen Meinung nachzugeben und ein königliches Wort einzu lösen ; und in Rußland, wo die Mehrheit der Nation aus leibeigenen Bauern bestand, fehlten alle Grundbedingungen zu einer konstitutionellen Staatsform. Doch verleugnete Kaiser Alexander seinen liberalen Geist auch jetzt uicht. Er suchte die unter seinem Scepter vereinigten Polen durch Gewährung einer frei sinnigen Verfassung mit Rußland zu versöhnen. Dagegen bewegten sich, wie gesagt, die mittleren und kleineren Staaten meist in ständischen Forme», theils indem sie die herkömmlichen Einrichtungen beibehielten oder durch Reformen umgestalteten, theils indem sie sich mit neuen Verfassungen im Sinne der Zeit umgaben. Auch den deutschen Staaten war in dem Art. 13. der Bundesakte eine ständische Verfassung in Aussicht gestellt. Allein wir werden sehen, mit welchen Schwierigkeiten das konstitutionelle Staatsleben in Deutschland zu kämpfen hatte, bis cs zum Siege und zu rechter Wirksamkeit gelangte. Suchten die weltlichen Mächte für eine neue Aera neue Formen zu errin-Rmgiös-und gen, dem veränderten Zeitgeist eine wenn auch kurz bemessene und engbegrenzte i-nÄzm. Laufbahn zu schaffen, die Möglichkeit einer verjüngten Lebensentfaltung offen zu halten; so erblickte dagegen der römische Hof in der unbedingten Rückkehr zu den alten Institutionen und Traditionen das sicherste Heilmittel für alle Schäden und Gebrechen. Wie wenn das Pontificat die schweren Demüthigungen, die es von stärkeren Mächten erfahren, die Nachgiebigkeit und Fügsamkeit, mit der cs die Züchtigungen ertragen, durch den Schein starrer Folgerichtigkeit verhüllen und in Vergessenheit bringen wollte, verhielt cs sich abweisend gegen jede Neuge staltung und zeigte gegenüber den Schwachen und Gläubigen Muth und Stand-