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IV. Umsturz und Neubau. 555 betrachteten sich nur als Glieder einer und derselben christlichen Nation, von der Vorsehung beauftragt, die Zweige Einer Familie zu regieren und die Völker in den Grundsätzen und in der Ausübung der Pflichten zu bestärken, welche der göttliche Erlöser den Menschen gelehrt hat. Sie fordern alle Mächte auf, die diese geheiligten Grundsätze feierlich anerkennen wollen, dem Bunde beizutreten, in den sie mit eben so vieler Bereitwilligkeit als Liebe ausgenommen werden sollen". Durch diese Allianz, wonach somit die europäische Staatenwelt nur Eine große Familie, die christliche Bruderliebe für Fürsten und Unterthanen das höchste Gesetz, und die Handlungen der Politik mit den Vorschriften des Neli- gions- und Sittcngesetzcs ausgeglichen sein sollten, suchte man dem Staatslcben eine christlich-religiöse Grundlage zu geben, that aber dem Christenthum Gewalt an, indem man dasselbe zum Träger der monarchischen Form in möglichster Unbeschränktheit machte, nicht beachtend, daß die Religion des Evangeliums mit allen Staatsformen bestehen kann, und suchte weniger die christliche Moral als die religiöse Gläubigkeit und äußere Frömmigkeit zu fördern. Mochten auch bei dein weichen, für das Hohe und Gute nicht unempfänglichen, liberalen Ideen zugencigten Kaiser Alexander und bei dem gemüthvollcn, frommen König Friedrich Wilhelm religiöse Motive und edle Vorsätze zum Grunde gelegen haben, so gab dagegen der Beitritt des prosaischen phantasielosen Kaisers Franz, und der Einfluß seines diplomatisch-klugen Rathgebers Metternich, welche schon während des Kampfes gegen Napoleon mit Sorge auf den neuen Aufschwung und die Volkserhebung geblickt und das freisinnige Verfahren ihrer fürstlichen Bundesgenossen mißbilligt hatten, dem mystisch-patriarchalisch gefärbten Bunde bald jene reactionäre allem freisinnigen Staatsleben abgewandte Richtung, durch welche er als ein schlauersonnenes Werk der Heuchelei erschienen und zum Fluche der Völker geworden ist. lieber ein Jahrzehnt stand Europa unter dem Einfluß der heiligen Allianz; Unterdrückung aller Revolutionsideen durch Bekämpfung des Grundsatzes der Volkssouveränetät und des Strebens nach demokratischen Verfassungsformen, Erhaltung des bestehenden Zustandes oder Rückführung des alten, Hebung des monarchischen Princips und der Regicrungsgewalt dnrch Festigung der patriarchalischen Verhältnisse zwischen Landesherren und Untcr- thanen, dies und Anderes war das vornehmste Ziel des Bundes, der somit zu einem Bollwerk gegen jede Bedrohung der Legitimität umgewandelt ward. Neben diesem „heiligen Bunde" mit seinen mehr und mehr hervortretenden Ten denzen gegen den liberalen Zeitgeist schlossen die vier Großmächte noch einen zweiten Bund von mehr sachlicher Natur. Indem sic den früheren Vertrag von Chamnont erneuerten, verpflichteten sie sich für den Friede» Europa's, der wesent lich bedingt sei durch die Befestigung der »eugeschaffenen Ordnung in Frankreich und durch die Erhaltung der königlichen Autorität nebst der in der Eharte begründeten Verfassung, mit ihrer ganzen Macht einzustehen. Und um die beiden Verträge und die darin ausgesprochene Politik stets frisch und lebendig zu crhal-