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55V Europa unter Bouapartischem Einfluß. das Gelüste nach Rückeroberung und Rache stets lebendig erhalten würde, son dern vielmehr darin, daß die Heere der Verbündeten mit freier Zustimmung der französischen Regierung aus eine Zeitlang eine militärische Stellung in Frankreich einnähmen, um sich zu versichern, daß die Nation sich in die legitime Ordnung zu fügen bereit sei, und den Nachbarstaaten Zeit zu gewähren, die zu ihrer Ver- theidigung nöthigcn Grcnzfestungen zu bauen. Höchstens könne eine Entschädi gungssumme für den gegenwärtigen Krieg den Franzosen auferlegt werden. In diesem Sinne wurden denn auch die Verhandlungen in dem Ministerrathe der Verbündeten geleitet; mehr und mehr unterlag die Opposition der preußi schen Staatsmänner, insbesondere des Staatskanzlers Hardenberg, der in dieser Periode seines öffentlichen Wirkens die alten Schwankungen seines Charakters durch patriotische Entschiedenheit und Energie in Vergessenheit brachte. Diese Wendung wurde wesentlich gefördert, als Castlereagh und Wel lington den in der russischen Denkschrift entwickelten Grundanschauungen bei- stimmten und Talleyrand den guten Willen des Königs, in versöhnliche Bahnen einzulenken, durch eine Denkschrift zu beweisen suchte, worin die Entlassung der Armee und die Einführung einer Constitution mit einer erblichen Pairie, einem frcigewählten Abgeordnetenhaus, einem unabsetzbaren Richterstand, liberalen Be stimmungen über die Presse und einem einheitlichen verantwortlichen Ministe rium in Aussicht gestellt war. Mochte immerhin eine preußische Denkschrift aus der Feder Wilhelm von Humboldt's darthun, daß Frankreich und die Bour- bon'sche Regierung keineswegs als identische Begriffe zu fassen seien, da ja Na poleon nur mit Hülfe Frankreichs de» Krieg habe beginnen können, und daß man reale und dauernde Bürgschaften für die künftige Sicherheit Europas schaffen müsse; mochte immerhin von angesehenen Staatsmännern und Feldherren wie Stein, Gneisenau. Hardenberg, Gagern, Münster in derselben Richtung gewirkt und die Wiedervereinigung des Elsaß sammt Straßburg und des ehemaligen Rcichslandes Lothringen mit Deutschland als gerecht und nothwendig dargethan werden: die englischen Tories sahen in den „preußischen Forderungen" die Keime neuer Kriege und bei Alexander hatte Stein's Wort das alte Gewicht verloren „gegenüber den Thränen und Gebeten der Frau von Krüdener und der Frau von Lczay-Marnesie". So gewann denn die Ansicht, daß man in den wesent lichen Punkten an dem ersten Pariser Frieden und an den Bestimmungen des Wiener Congresses festhalten müsse, immer mehr Boden. Die preußischen und deutschen Stimmen für festere Garantien, denen sich nicht blos die Niederlande, sondern im Anfang auch Oesterreich anschlossen, wenn gleich ohne Energie und Entschiedenheit von Seiten des mißtrauischen Kaisers und seines Ministers Metternich, vermochten nur soviel zu erreichen, daß man bei den Grcnzbcstim- mungen Frankreichs auf das Jahr 1790 zurnckging und im Norden und Osten eine unerhebliche Gebietsvcrklcincrung zu Gunsten der Königreiche Sardinien, Bniern, Preußen und Nicdcrland zuließ.