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IV. Umsturz und Neubau 537 Die Denkwürdigkeiten von St. Helena werfen die Hauptschuld der verlorenen Marsch-m Schlacht auf Grouchy, weil er nicht, wie doch Napoleon befohlen, den nächsten Weg nach dem Schlachtsclde eingcschlagcn, sondern bei Wavre mit dem preußischen Armee korps Thielmann's sich in ein Treffen eingelassen und darüber seine Aufgabe versäumt habe. Die neueren Kriegsschriftsteller haben diese Beschuldigungen als ungerechtfertigt zurückgewiescn und dargethan, daß es dem Marschall gar nicht möglich gewesen wäre, das Schlachtfeld so zeitig zu erreichen, daß sein Erscheinen von Einfluß aus die Ent scheidung hätte sein können. Die 30,000 Mann, die er nach der Schlacht nach Nainur und von da über Dinant, Mezieres und Rethel nach Soissons führte, waren ein fester Kern zum Anschluß der Flüchtigen und Zersprengten. „Der Gang der gewaltigen Schlacht", heißt es bei Koenigcr, „welcher über das Der Gang Schicksal des erneuten Kaiserreichs entschied, war dieser: Zuerst rückten die Vorder- "4-la-i!,. truppen der Franzosen gegen die Außenposten und die erste Linie der englisch-deutschen Stellung vor, zwei Stunden lang wogte das Treffen ohne sichtbaren Erfolg hin und her. Napoleon, plötzlich durch das Herannahen der Preußen zu seiner Rechten über rascht und von Zweifeln bewegt, befiehlt gegen zwei Uhr den geschlossenen Angriff. Die französischen Massen rücken an, cs entsteht auf der Höhe von Mont St. Jean ein blu tiges Ringen, hin und her über eine Stunde lang schwankt der Kampf, zuletzt müssen die Angreifer weichen. Jetzt erscheinen die ersten Brigaden der Preußen an der Grenze des Schlachtfeldes; Napoleon sendet gegen sie die Reserven, die er für einen zweiten Angriff bestimmt hatte; der Kampf in der Fronte brennt in einer Reihe einzelner Ge fechte fort, kein Theil vermag ihn sogleich wieder kräftig zu erneuern. Doch die Preußen dringen näher heran, die Gefahr ist groß für Napoleon, wenn er jetzt nicht Welling- ton's Widerstand bricht. Cr versucht es mit der Reiterei. Ney führt sie in der Fronte in eincni großen Angriff gegen Wellingtons Stellung zur nämlichen Stunde, als die preußischen Kanonen das Treffen zur Rechten beginnen; er muß weichen, nach kurzer Rast erneuert er den Angriff, durch die letzten Regimenter verstärkt; doch wieder kehren die tapferen Reiter aus langem heißen Getümmel der Schwerter und der Bajonette erfolglos zurück. Und schon ist fast die Hälfte von Napoleons letztem Rückhalt, den Garden, gegen die Preußen im Gefecht, sie stehen dem Andrang, sie treiben ihn zurück, doch ihre Kraft erschöpft sich an der wachsenden Zahl der unerwarteten Gegner. Da greift Na poleon zum letzten verzweifelten Mittel; die letzten Bataillone der Garden sollen die englische Stellung durchbrechen. Sie nehmen das Gewehr aus, sie ersteigen die Höhe, sie setzen den Muth an, der in hundert Schlachten erprobt ist: umsonst, nach kurzem Ringen schwanken ihre Reihen, sic weichen. Im nämlichen Augenblick überwältigt Blücher zur Rechten den letzten Widerstand, Wellington ruft den letzten Muth seines erschöpften Heeres zum Angriff; der Schrecken bricht in die französischen Reihen ein, in wenig Minuten sind sie in eine einzige verworrene fliehende Masse verwandelt. Na poleons letzte Hoffnung liegt auf dem Schlachtfelde in Trümmern; in unablässiger Verfolgung vollenden die Preußen die Zerstörung seines Heeres. Der Gcsammtverlust in den Schlachten und Treffen betrug bei Napoleon über B-d-umn-, 50,000, bei den Verbündeten 43,000; aber die 7 oder 8000 Mann Unterschied^'^"'"- zeigen nicht das Ergebniß auf, es war durch die Niederlage, die Flucht und die rast lose Verfolgung ein ganz anderes. Das Heer, auf welchem des erneuten Kaiserthums Hoffnung gestanden, war in Wahrheit zerstört, und mit ihm war das Vertrauen aus seinen Meister in diesem selbst und in den Grenzen seiner Herrschaft vernichtet". Das Bild dieser zerstörten Armee saßt Clause witz in folgenden ergreifenden Worten zusammen: „Ein Heer wie das französische, durch eine mehr als zwanzigjährige Folge von Siegen veredelt, welches in seiner ursprünglichen Ordnung das dichte Gefüge, die