IV. Umsturz und Neubau. 519 beiden Großmächte müsse die Grundlage der deutschen Verfassung sei», zwischen Oesterreich und Preußen muffe jeder Grund zur Eifersucht aus dem Wege ge räumt werden, als ob dies erstrebensmerthe Ziel durch einen Paragraphen eines Stnatsgrundgesetzcs sich einfach hätte erreichen lassen. Der Eine wollte ein öster reichisches Kaiserthum mit einem erblichen Reichsdcrwcseraiut Preußens, der Andere einen Bund ohne die beiden Großmächte, der Dritte wollte Oesterreich znm deutschen Kaiserthum, Preußen zum deutschen Königthnm oder zum erb lichen Großkronfeldhcrrnamte erheben, Andere sprachen gar von einem bei den deutschen Fürsten der Reihe nach umgehenden Kaiserthum u. s. w. Die Grund lagen, auf denen unser heutiges Reich errichtet ist, die ausschließliche Führerschaft Preußens, wagte noch kaum Einer ins Auge zu fasse»; selbst bei Stein war die deutsche Kaiscrwürde Oesterreichs der Mittelpunkt des Vcrfassungsbaus und an dem unversöhnlichen Gegensatz seines Einheitsstaats-Ideals zu der handgreif lichen Thatsache des deutschen Dualismus krankten auch seine politischen Ent würfe. Auch dieser Reichsrcformator sah mit der Zeit in einer Zwcithcilung Deutschlands unter österreichischem und preußischem Einfluß, jener im Süden, dieser im Norden, das einzige Auskunstsmittel und stieg schon in einer zu Chau- mont verfaßten Denkschrift zu einein Entwurf herab, der die Exekutivgewalt einem Direktorium der vier größten deutschen Staaten zuwies. Die nationalen Träume vermischten sich dabei auch bei guten Vatcrlandsfrcunden mit einem starken Thcil particularistischcr Gesinnung, wie denn auch erst in den kleineren Vcrfassungskämpfen der deutschen Bundesstaaten der politische Geist unseres Volkes erstarkte. Was für staatliche Zustände und constitutioncllc Rechte man in den Einzelländern erstrebte, war schon damals weit klarer und bestimmter, ols „die unfindbare Größe des deutschen Gesammtstaates noch ein bequemes Versuchsfeld für dilettantische Schrullen und spielende Willkür" war. Jnzwi- schcn schrumpften die hochfliegcnden Entwürfe zur deutschen Vcrfassungsfrage unter den widerwilligcn Händen nüchterner engherziger Diplomaten immer mehr zusammen und die armselige Form einer losen ohnmächtigen Föderation war Alles, was von dem nationalen Aufschwung übrig blieb. Was war auch zu hoffen, wenn in den Kreisen der rhciubündischcn Diplomatie von Baicrn und Würtemberg die Nothwcndigkeit eines deutschen Bundes überhaupt bestritten ward? Freie Allianzen thätcn dieselben Dienste. Warum, meinte Montgelas, sollen die deutschen Staaten nicht wie die italienischen ganz selbständig nebenein ander leben, nur durch gute Nachbarschaft verbunden? und Würtemberg prote- stirte energisch gegen den Gedanken, „aus verschiedenen Völkerschaften, wie Preußen und Baiern, sozusagen Eine Nation machen zu wollen". Als endlich der Bund geschlossen war, gestanden selbst die meisten der unterzeichnenden Staatsmänner ein, daß er ein höchst unvollkommenes Werk sei; sie trösteten sich aber, er sei noch immer besser als gar keiner.