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III. Die Jahre der Napoleonischen Weltherrschaft. 423 Und doch begann das größte Elend erst hier, weil durch fehlerhafte Anord- nungen und durch feindliche Raubübcrfälle die erwartete Zufuhr von Waffen, Kleidern und Lebensmitteln sich in Smolensk nicht vorfand und die durch ncuesch-nFurzug«. Truppen verstärkten Russen den Ziehenden überall den Weg verlegten. Die größten Heldenthaten, die unter Napoleon's Augen von Eugen. Davoust, Murat, Oudinot, Victor u. A. vollführt wurden, hatten keinen weitern Erfolg, als daß sie den Untergang des ganzen Heeres um einige Tage hinausschoben. Der Held des Rückzugs war Ney, der Führer der Nachhut, „der Tapferste der Tapfer»". Sein Ucbcrgang über den gcfrornen, aber au beiden Ufern aufge- thauten und von den Russen bewachten Dnepr zur Nachtzeit war eine der kühn sten Waffcnthaten, deren die Weltgeschichte gedenkt. Freilich konnte er von 6000 Mann nur 2000 zu dem Heere führen, das unterdessen bei Krasnoi den N°». Feind, dessen Reihen gleichfalls durch Kämpfe. Strapazen. Krankheiten bedenk lich gelichtet waren, in einigen Gefechten zurückgeschlagen und sich den Weg zur Bercsina frei gemacht hatte. An diesen ewig denkwürdigen Fluß gelangte das Heer am 25. November. Im Angesicht der feindlichen Armee wurden zwei Brücken geschlagen, und der kleine Rest, der sich »och in Reih' und Glied be wegte, unter unzähligen Gefahren hinübergeführt, aber gegen 18,000 Nach zügler, die nicht zeitig genug ankamcn, fielen in die Hände der Feinde und mit ihnen eine unermeßliche Beute. Wie viele in den kalten Fluthcn des Flusses zwischen den Eisschollen ertranken, oder bei dem entsetzlichen Gedränge zertreten und zerdrückt wurden, konnte Niemand berechnen. Die „Leiden an der Bere- sina" sind der Ausdruck für den höchsten Jammer geworden, der die Menschen im Krieg treffen kann. Noch nach zehn Jahren waren die Spuren der entsetz lichen Katastrophe sichtbar. Vom Einsinken der Wagen. Menschen und Pferde war bei Studianka eine Insel entstanden, die den schwarzen scythischen Strom in zwei Arme theilte, und unterhalb derselben sah man drei moorige Hügel aus zu- sammcngctriebenen Mcnschenleichen. „Es ragten noch menschliche Gebeine dar aus hervor, aber sie prangten mit einer dichten Hülle von Vergißmeinnicht, eine grausenhaftc Zusammenstellung des zarten Blümchens mit jener furchtbaren Erinnerung". Nach dem Uebergang über die Beresina, einer Kriegsthat. 20-2». N°». die trotz aller Tragik das strategische Genie Napoleon's und die Macht seines Namens in das glänzendste Licht stellte, zählte das französische Heer noch 8000 kampffähige Soldaten, und selbst diese trugen den Keim des Todes in sich; aus ihren bleichen Gesichtern sprach Stumpfsinn und Verzweiflung. Ney war der letzte Viann der Nachhut. Nach amtlichen Berichten wurden in Rußland 243,600 feindliche Leichen eingescharrt. Weite Schneegefilde bedeckten wie mit einem weißen Grabestuche die gefallenen Krieger. Schrecklich lauten die Berichte der Augenzeugen über diesen denkwürdigen Rückzug. Kriegszucht und Ordnung waren dahin, alle Bande gelockert und neben den edelsten Thaten der Groß- muth und Selbstverleugnung begegnete man der unglaublichsten Entartung.