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III. Die Jahre der Napoleonischen Weltherrschaft. 421 Tages. Zehn französische Generale und eine nicht minder große Zahl russischer, unter ihnen der tapfere Bagration, waren gefallen, die Verwundeten wurden fast sämmtlich das Opfer der Kälte, des Hungers oder der Verblutung. Hätte sich Napoleon entschließen können, die kaiserliche Garde, „seine letzte Stütze in einer Entfernung von fünfhundert Stunden von Paris", wie er sich gegen General Dumas ausdrückte, aus der Reserve herbeizuziehen und rechtzeitig in das Ge fecht eingreifen zu lassen, so würde die Niederlage der Russen vollständig geworden sein. Nun konnte Kutusow in einem lügenhaften Schlachtbericht dreist behaupten, er sei Sieger geblieben und habe sich freiwillig zurückgezogen, um Moskau zu retten. Die Täuschung dauerte freilich nicht lange. Die in Aussicht gestellte zweite Schlacht unter den Mauern Moskaus wurde nicht geliefert. Am 14. September hielten die Franzosen ihren Einzug in die Metropole des alten Moskowiter reiches mit ihren zahllosen Thürmen und vergoldeten Kuppeln. Aber auch dieser heilige Zarcnsitz war vorher von dem Adel und der wohlhabenden Bürgerschaft verlassen worden, so daß die meisten Häuser leer standen und der Pöbel im Besitz der Stadt war. Schon beim Einzug überfiel ein unheimliches Grauen die Sol daten, als sie in den Straßen blos einiges Gesindel umherschlcichen sahen, aber wer schildert ihr Entsetzen, als der viertägige Brand von Moskau, der beiA«""'"'^' dem Abgang, aller Löschanstalten bald zu einem Flammenmeer sich gestaltete, neun Zehntel der aus Holz gebauten Stadt, nebst der alten Zarenburg (Kreml), die sich Napoleon als Wohnstätte ausersehcn, in Asche legte, und mit einem Schlag alle ihre Hoffnungen zu nichte machte? Der Statthalter von Moskau, Rostoptschin, „ein echter Russe, der unter der glatten Hülle abendländischer Formen die ganze Wildheit und Leidenschaft eines Barbaren barg", hatte ohne des Kaisers Befehl diese entsetzliche That angeordnet, um der großen Armee die Winterquartiere zu rauben und sie zu einem verderblichen Rückzug zu zwingen. Selbst in sein eigenes prachtvolles Landschloß zu Woronowo hatte er die Brand fackel geschleudert. Aller Zucht und Ordnung vergessend stürzten sich die Sol daten in die brennenden Häuser, um ihre Raublust und Leidenschaft zu befrie digen. Mehr als 10,000 Verwundete und Kranke kamen in den Flammen um! 2. Rückzug der großen Armee. Aus Allem ging hervor, daß die Russen einen Vernichtungskrieg führten, B°n Moskau und dennoch ließ sich Napoleon, in unbegreiflicher Verblendung, durch die arg- listig unterhaltene Hoffnung eines Friedens zu einem Aufenthalte von vierund dreißig Tagen in den Ruinen von Moskau verleiten, ohne begreifen zu wollen, daß Kutusow ihn bis zum Eintritt des Winters hinzuhalten suche, damit die Kälte die schlecht gekleideten und am Nothdürftigstcn Mangel leidenden Soldaten auf dem Heimweg vernichte. Der französische Gewalthaber glaubte die Zukunft seiner Herrlichkeit, den Nimbus seines Namens gefährdet, wenn er zugestand, daß die größte Unternehmung seines Lebens mißlungen sei. Eine zuversichtliche