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III. Dic Jahre der Napoleonischcn'Wcltherrschaft. 409 willen sich mit Frankreich verbünden müsse, und deshalb dem Zaren die Erhal tung des Friedens angelegentlichst zu empfehlen. Es war gut, daß dic Untcr- handlungeii diesen Ausgang hatten. Die vereinten russisch-preußischen Slrcit- kräfte, welche die Höhe von 200,000 Mann kaum überschritten haben dürften, wären nicht stark genug gewesen, an der Oder oder Weichsel den Napolconischen Hecrcsinasscn einen erfolgreichen Widerstand zu leisten. Es mußten unbercchcn- bare Ereignisse eintreten, um dic unerträglich gewordene Zwingherrschaft vom Nacken der europäischen Völker herabzustoßcn. Nur in den weiten einförmigen Tiefebenen Osteuropas, voll von Wäldern und Sümpfen, von trägen laby- rinthischen Flüssen und Strömen durchzogen, spärlich bewohnt von einem halb barbarischen Volke, das keine Rcichthümer zu bieten hatte, nur in jenem alten wenig bekannten Scythenlande, wo das Heer in einer Entfernung von dreihundert Meilen den Gefahren eines traurigen Klimas, eines fürchterlichen Winters aus- gesetzt war, konnte die „große Armee" überwunden werden, nicht durch Menschen, sondern durch unbcrcchnetc Naturmächte. Als dic Verträge Frankreichs mit Preußen und Oesterreich zum Abschluß »es kamen, war der Ausbruch des Krieges vor der Thür. Dennoch dauerten dic diplomatischen Verhandlungen in der bisherigen Weise noch eine Zeitlang fort. Keine der beiden Mächte wollte einen Schritt zurückweichen und jede trug zugleich Scheu, die Losung zu dem blutigen Kampfe zu geben, dessen Verlauf und Ende kein sterbliches Auge voranszusehen vermochte und damit die schwere Verantwort lichkeit der Kriegserklärung auf sich zu laden. Selbst dic russische Note, welche Kurakin am 27. April in den Tuilerien abgab, und die als eine Art Ultimatum dienen konnte, indem darin die sofortige Zurückziehung der französischen Truppen ans Pommern und Preußen gefordert wurde, führte noch nicht zur Kriegserklä rung. Man hielt in Paris mit der Antwort zurück, ließ durch General Lauriston in Petersburg anfragcn, ob Fürst Kurakin nicht über seine Instruktionen hinaus- gegangcn sei oder sie mißverstanden habe. Dic Forderung verletze das Völker recht und sei ein Eingriff in die Souveränctätsrcchtc des Königs von Preußen. Napoleon wollte Zeit gewinnen, um Truppen, Munition, Vorräthe, Trans portmittel und alles zum Kriege Erforderliche in großer Menge an die Weichsel und in die östlichen Provinzen Preußens zu schaffen, damit er seiner Gewohnheit gemäß den Feind plötzlich überfallen und in einem einzigen rasch geführten Feldzug überwältigen und nicdcrwerfen könnte. Noch im Mai wurde Graf Narbvnne, ein feingcbildctcr Edelmann mit den aristokratischen Formen der alten Königszeit sXlll, 817), in außerordentlicher Mission nach Petersburg gesandt, um den russischen Kaiser mit dem Vorschlag einer bewaffneten Fric- densverhandlung zu täuschen und hinzuhaltcn, auch zugleich Kundschaften über die militärische Lage cinzuziehen. Aber Alexander, der von Allem was in Paris vorging durch Kurakin und Tschernitschcff unterrichtet war, hatte sich bereits nach dem russischen Hauptquartier in Wilna begeben und erklärte, daß er bei seinen