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302 Europa unter Bonapartischcm Einfluß. Bcdtnkm und Mit dieser Weisung steht freilich ein anderes Schreiben in Widerspruch, das erst ^«ahnung. ^ Memoiren von St. Helena zur Ocffentlichkeit kam und daher zu einigem Zweifel Anlaß gibt. In demselben wird Murat wegen der übereilten Besetzung Madrids scharf zurecht gewiesen und die Befürchtung ausgesprochen, es möchte dadurch eine Massenerhebung und ein allgemeiner Krieg mit einem thatkräftigen, für seine Unabhän gigkeit begeisterten Volke hervorgerufcn werden, mit einem Volke von frischer Energie, das die politischen Leidenschaften noch nicht abgestumpft hätten. Dadurch könnten die Pläne des Kaisers zur Wiedergeburt Spaniens und zur Reform der dortigen Institu tionen durchkreuzt werden. Und doch hatte er selbst, wie aus andern Schriftstücken hcr- vorgcht, den Einzug der französischen Truppen in Madrid angcordnet. Verehrer Napo leons, wie Thiers, suchen den Widerspruch durch das klug ersonnene Auskunftsmittel zu lösen, die Depesche sei unter dem Eindruck der mündlichen Berichte seines Abge sandten des Marquis von Tournon von dem Kaiser abgefaßt, dann aber, als die Berichte Murat's andere Gedanken in ihm erzeugt, nicht abgcsandt worden; sie sei zu betrachten als der Ausdruck „einer genialen Wandlung Napoleon's, hcrvorgcgangcn aus einer ihm momentan verliehenen übernatürlichen Sehergabe". In dem Geiste des Kaisers, sagt Thiers, trat eine der plötzlichen Wendungen ein, welche den, der die menschliche Natur nicht kennt, in Verwunderung setzen und welche man gern bei Menschen von weniger anerkannter Ucbcrlegenhcit als Napoleon Znconsequcnzen nennt. Obgleich ihn eine Art Vcrhängniß zur Usurpation der spanischen Krone trieb, so verhehlte er sich doch keine der schlimmen Folgen, welche das beklagcnswcrthe Unternehmen haben mußte. Er ahnte im Voraus den Tadel der Welt, die Entrüstung der Spanier, ihren hart näckigen Widerstand, den Vortheil, den England aus diesem Widerstand ziehen konnte, er sah alle diese nachtheiligen Wirkungen mit stauncnswerthem Scharfblick voraus, und dennoch, nicht über die Schwierigkeiten, aber über seine Fähigkeiten, sie zu überwinden, verblendet, fortgcrissen von der Sehnsucht, eine neue Ordnung in Europa zu begrün den, strebte er seinem Ziele entgegen, obgleich von Zeit zu Zeit beunruhigt von der plötzlichen und vorübergehenden Erscheinung der düstersten Bilder. Ein bis heute schlecht begriffener Zwischenfall war auch jetzt die Ursache zu einer dieser zufälligen Wandlungen, und vcranlaßte ihn einen Augenblick, Befehle zu geben, die den früher crtheilten ganz entgegengesetzt waren und die manche schlecht unterrichtete Geschicht schreiber als einen Beweis darstcllen, daß Napoleon in der spanischen Angelegenheit ursprünglich nicht das wollte, was geschah, und daß ihn der unvorsichtige Ehrgeiz Murat's weiter getrieben habe, als er beabsichtigte. o. Das Jntriguenspicl in Ba Yonne. qttdmand's Um dieselbe Zeit, da Murat Madrid besetzte, hielt Ferdinand an einem ^Madrid" schönen Frühlingsinargen unter unbeschreiblicher Volksfrcude seinen Einzug in 24. Mär; die Hauptstadt. „Das alte Spanien schien wieder geboren mit all seiner schlvär- ^ merischen Loyalität, seiner jubelnden Lust, seiner alle Stände aufs Innigste ver knüpfenden Begeisterung. Und als nun der König erschien, da erfolgte ein Aus bruch des Entzückens, wie er nur bei Menschen von dieser erstaunlichen Heftigkeit der Empfindung möglich ist". Gegenüber diesen Kundgebungen des Volkes bildete die kalte Zurückhaltung Murat's und Bcauharnais' einen auffallenden Eontrast. Um so mehr waren der neue König und die Spitze» der Behörden beflissen, durch Kundgebung freundschaftlicher Gesinnung und hingebender De-