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III. Die Jahre der Napoleonischen Weltherrschaft. 277 ä. Der Geist der Zeit. Nicht blos in den äußeren Formen der staatlichen Existenz vollzog sich in su,ach-und jenen schweren Tagen der Bedrängniß ein Umschwung zum Bessern, auch das innere geistige und sittliche Leben erfuhr eine Läuterung und Erhebung. Wie im Dasein des Individuums, so hat auch im Leben der Völker die Schule des Unglücks häufig die Wirkung, die bessern Keime zur Entwicklung zu bringen, die schlummernden Kräfte wachzurufen, den Willen und die Thalkraft zu stählen. Aus der Frivolität und Leichtfertigkeit, der Selbstsucht und Niedrigkeit der Denk art, der feigen Resignation, dem demüthigen Kriechen vor der rohen fremden Gewalt, dein Mangel an allem idealen Aufschwung und Gcuieinfinu, dem schlaffen Fatalismus, aus allen den Züge», welche die damalige Gesellschaft so traurig kennzcichnetcn, begann sich allmählig unter den Bessern der Nation ein tüchtiger, kräftiger, strebsamer Geist, eine ernste Lcbensanschauung emporzu arbeiten , und alle edleren Regungen flössen naturgemäß in dem vaterländischen Hasse gegen die despotische Fremdherrschaft, in dem Gefühle bittersten Schmerzes über die nationale Unterdrückung zusammen. Der sittenstrenge Ernst der Kant'- schen Philosophie, die patriotische Begeisterung, der ideale Freiheitsdrang Schil lert äußerten ihre erhebende Wirkung auf das Denken und Fühlen des Volks; die romantische Dichterschule lenkte den Blick auf die bedrohten Schätze des alten deutschen Geistes und Wesens. Zur Erweckung des patriotischen Sinnes, der aus den verschiedensten Quellen seine Nahrung zog, trug in ganz hervorragender Weise ein Mann wie Johann Gottlieb Fichte bei, der die philosophische Spe kulation mit den höchsten Fragen des nationalen und politischen Daseins zu verknüpfen wußte, dessen kerndeutsche Gesinnung, kühne Begeisterung, edler Schwung und rücksichtslose Wahrheitsliebe die schlaffen Gemüthcr mächtig auf- rüttclten, der wie einst Luther eine rcformatorische That der Geisksbefrciung voll zog. I» den „Reden an die deutsche Nation", die er im Winter 1807 aus 1808 in Berlin hielt, wies er in schneidenden Worten auf die Wunden und Schäden der Zeit, aus das von der fremden Despotie schmachvoll unterdrückte Wesen des deutschen Volks hin, predigte er einem selbstsüchtigen erschlafften Geschlechtc eine ernste sittliche Geistesbildung, eine nationale Erziehung, wahre Religion, Liebe zum Guten und Edlen, einen erhabenen Idealismus, den die französische Polizei nicht verstand und darum für unschädlich hielt. In derselben Richtung wirkte Sch leie rin ach er. der gleichmäßig die Vertiefung des sittlich-religiösen Lebens wie den Aufschwung des national-vaterländischen Geistes als Ziel verfolgte. Aus dein Kreise dieser patriotischen Gelehrten, dem auch Wilhelm von Humboldt. Nicbuhr u. A. augehörteu, ging die Universität Berlin hervor, deren Gründung ein geistiges Denkmal an die nationale Erhebung des deutschen Volks geblieben ist. Die förmliche Eröffnung der neuen Hochschule fand im Herbst 1810 statt. In demselben Geist, wenn auch nicht diesem Kreise angehörend,