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230 Europa unter Bonapartischem Einfluß. Vkihand. Die Tag für Tag sich drängenden Erfolge steigerten den Uebermuth und die '"Prkußm!Begehrlichkeit Napoleons ins Ungemcffene. Friedrich Wilhelm III., der zuerst nach Graudenz, dann nach Königsberg flüchtete, und seine Staatsmänner hätten gerne Frieden oder Waffenstillstand geschlossen. Die preußischen Unterhändler, Lucchcsini und Zastrow, waren zu den größten Opfern bereit; sie hätten sogar den Beitritt zuni Rheinbund zugestanden; der König selbst schrieb die dcmüthigstcn und stehend sten Briefe an Napoleon. Aber unter dem Eindruck der immer neuen Erfolge schraubte der Sieger von Tag zu Tag seine Ansprüche höher. Die Einräumung der Elbgrenze, die Anfangs gefordert wurde, der Verzicht aus jede Einmischung in die Angelegenheiten Deutschlands genügte bald nicht mehr; es wurde verlangt, daß alle Festungen bis zur Weichsel, einschließlich Thorn, Danzig, Kolbcrg, Glogau, Bres lau u. a. den Franzosen übergeben, die preußischen Truppen in den nordöstlichen Winkel zurückgezogen würden und daß der König die Russen zum Rückmarsch bestimme. Mit einem Wort, die ganze Monarchie sollte sich wehr- und willenlos dem Kaiser zu Füßen legen, sich von dem letzten Alliirtcn trennen und von der französischen Gnade ferneres Schicksal erwarten. Auch diese „Charlottenburger Convention" Unterzeichneten Lucchcsini und Zastrow. Allein im königlichen Hauptquartier wurde denn doch die Ratifikation für einen Waffenstillstand verweigert, der Preußen ohne jede Gegcnconcession und jede Sicherheit für einen nur irgend annehmbaren Frieden seiner letzten Widerstandskraft und selbst seiner Ehre beraubt hätte. In einen schlimmeren und unwürdigeren Zustand konnte die Monarchie auch nicht mehr gerathcn, wenn man im Vertrauen auf russische Hülfe den Krieg fortsetzte. Napoleon aber sagte drohend zu dem preußischen Unterhändler: wenn die Truppen Frankreichs einen Sieg über die Russen davontrügcn, so gebe es keinen König von Preußen mehr. In seinem Ucber- muth entschlüpfte ihm sogar das Wort, binnen zehn Jahren werde seine Dynastie die älteste in Europa sein. Rücktritt von Der Entschluß des Königs, die maßlosen französischen Zumuthungcn zurückzu- weisen, war für den Grafen Haugwitz , dessen langer und verderblicher Einfluß an der damaligen Lage Preußens wesentlich mitschuldig war, das Zeichen, von der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zurückzutreten. Freilich war der Nachfolger zunächst nicht besser. Der Freiherr vom Stein lehnte, wie wir bald des Nähern erfahren werden, die wiederholte Aufforderung zur Leitung des Ministeriums des Auswärtigen ab, weil der König seinem Verlangen der Beseitigung der Cabinetsregierung und einer neuen Organisation des Ministerraths, nicht nachgab, und General Zastrow, der Gesin nungsgenosse von Haugwitz, der soeben die Charlottenburger Convention unterzeichnet, wurde an die Spitze der auswärtigen Politik gestellt, Stein aber in Ungnade des preußischen Dienstes entlassen. Noch immer konnte sich der König nicht von dem ver derblichen Banne der feigen, feilen und kleinlichen Seelen, eines Bcyme, Lucchefini, Köckeritz, Lombard, losmachen. 3> Dcr Krieg i» Ostpreußen, Schlesien, Pommern. Schlacht de! l!ylau. Die Fort. Als die Fortsetzung des Kriegs beschlossen wurde, bestand die ganze preu- Kmgs b^ßische Armee aus nicht mehr als etwa 25,000 Mann, die in dem nordöstlichen '^"'" Winkel der Monarchie von der Weichsel bis zur russischen Grenze aufgestellt waren. Die Ermuthigung zum Widerstand konnte nur in fremder, insbesondere russischer und österreichischer Hülfe gesucht werden. Bei der Wiener Regierung vermochte denn auch das Gefühl der gemeinsamen europäischen Interessen gegen-