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III. Die Jahre der Napoleonischen Weltherrschaft. 219 als aus die nicht in der alten Kriegsschule gebildeten Revolutionstruppen herab; trotz aller vorangegangcnen Kricgsereignisse stieg in den dünkelhaften junkerlichen Offizierskreisen kein Zweifel an der Unüberwindlichkeit und dem sicheren Siege der preußischen Armee auf. Von der Kraft eines Volkskriegs, wie ihn die revo- - lutionäre Strategie entfesselt, von der gewaltigen Umwälzung der Kriegskunst seit einem Jahrzehent hatte man in preußischen Militärkreisen kaum einen Be griff. Die höheren Offiziere bis zu den Hauptleutcn herab, waren in den alten mechanischen Dicnstformen erstarrt, meist über die Jahre der geistigen Schwung kraft hinaus, theilweise schon im hohen Greisenalter. Von der Raschheit, Leich tigkeit und beweglichen Gliederung der neuen Kriegsschule hatte die alte schwer fällige preußische Taktik noch keine Ahnung. Die Bewaffnung, Bekleidung und Verpflegung der Truppen war altmodisch, dürftig und mangelhaft, Alles mehr auf die Parade als auf den Krieg eingerichtet; während die Soldaten in den schwierigsten Wendungen, Griffen und Evolutionen gedrillt wurden, waren die Gewehre oft völlig unbrauchbar. Ein ungeheurer Troß erschwerte jede Bewegung. Als bezeichnendes Beispiel wird erzählt, daß ein Lieutenant ein Klavier mit ins Feld genommen habe. Wo die Franzosen bivouakirten, führten diePrcußen Zelte mit sich, wo jene im Lande requirirten, hielten diese noch au dem alten Maga zinsystem fest, belasteten sich mit Backöfen, Brod- und Mehlwagen. Es war eine , Friedensarmee, die jetzt plötzlich in den Krieg geschickt ward, und zwar dem furchtbarsten Feind gegenüber. Dabei bestand das Heer noch immer zum großen Theil aus geworbenen Ausländern, die keine Vaterlandsliebe und wenig Fah nentreue und Corpsgeist besaßen. Mit ihrem zuchtlosen Wesen steckten sic dann auch die Landeskindcr im Heere an, die auch ihrerseits fast nur aus den unteren und schlechteren Elementen ausgchoben waren, da das sogenannte Kanlons- system XII, 926) nicht nur ganze Städte und Landestheile, sondern auch einen großen Theil der höheren Berufsklassen von der Wehrpflicht eximirte. Deser tionen und Meutereien waren schon in Friedcnszeiten häufig, noch mehr aber bei Niederlagen im Felde; harte Strafen, wie Stockschlägc und Gassenlaufen, reichten nicht aus, die Disciplin aufrecht zu halten; wo die Strenge des Dienstes nach- ließ, lockerten sich alsbald alle Bande der Zucht und Ordnung. Die Dürftigkeit der Löhnung machte Nebenerwerb nöthig, was dem kriegerischen Geiste vollends Eintrag that. So trat Preußen in der ungenügendsten Verfassung dem WeltbezwingerJsonnc ? gegenüber, und zwar gänzlich isolirt. Durch die feige und schwankende Politik der letzten Jahre hatte man seine natürlichen Verbündeten in Europa abgestoßen und das Vertrauen zerstört. Wohl wandte sich das Berliner Cabinet jetzt an die Glieder der Coalition von 1895: Oesterreich aber war erschöpft und mit seiner eigenen Reorganisation beschäftigt; mehr als Rüstungen und wohlwollende Neutralitätsversichernngen waren im Augenblick in Wien nicht zu erreichen. Mit England und Rußland war der französische Kaiser noch immer im Krieg ; allein