Volltext Seite (XML)
194 Europa unter Bonapartischcm Einfluß. ll. Nov. 18V5. Die Franzosen in Wien. Doiiauufer inmitten der Schluchten, die von den Ruinen des Schlosses Dür renstein beherrscht werden, von Kutusow's Armee unerwartet angegriffen ward, große Verluste. Der österreichische Feldmarschalllicutcnant Schmidt, einer der tüchtigsten kaiserlichen Generale, durch dessen Anordnungen die Franzosen in die schlimme Lage gebracht worden waren, fand dabei seinen Tod, ein empfindlicher Schaden für das österreichische Heer. Die Gefechte von Stein und Dürrenstcin, wobei die russischen Truppen das Meiste vollbrachten, vermochten jedoch nicht den Vormarsch der Franzosen zu hennncn. Mölk und St. Pölten wurden be setzt; ein gemeinsamer energischer Widerstand der russisch-österreichischen Truppen an dem letzteren Orte, den man französischer Seits erwartete, fand nicht statt; immer näher rückten die vordersten Heersäulen aus die Hauptstadt zu. Der Habsburgische Staat war von einem Unglück betroffen, das, wie Gcntz sagt, „die Seele vernichtete und das Denken aufhob". Znm erstenmal wandte sich Kaiser Franz in einer ernsten bewegten Ansprache an seine Unter- thancn, sic zur Bethätigung ihrer Vaterlandsliebe, zu einträchtigem muthvollei! Zusammenwirken ermahnend. Aber so wenig Vertrauen hegte man in den höchsten Kreisen, daß der ganze Hof sammt den Ministern und Diplomaten die Residenz verließ und nach Preßburg auswanderte. Graf Wrbna und Fürst Auersperg blieben mit Besatzungsniannschaftcn zur Bewachung Wiens zurück, der letztere mit dem ausdrücklichen Befehl, die Donaubrücke zu behaupten oder in die Luft zu sprengen. Für die Franzosen war der Besitz dieser Brücke von der größten Wichtigkeit; denn nur auf diesem Wege konnte die russische Armee auf der Straße nach Mähren ohne Unterbrechung verfolgt werden. Napoleon hatte daher seinem Schwager Murat, der am 13. November mit der Vorhut vor Wien erschien, den Befehl crthcilt, sich auf alle Fälle der Donaubrückc zu bemächtigen. Durch einen schlau angelegten Betrug von Seiten der Franzosen und durch die Leichtgläubigkeit und Kopflosigkeit des österreichischen Coinman- dauten wurde das Ziel erreicht. Während der Verhandlungen, die zwischen beiden Armeen wegen Besetzung der Hauptstadt geführt wurden, bestand eine Art Waffenruhe. Diese benutzten Murat, Lanncs und Bclliard zu einer Kriegslist. Wie friedliche Spaziergänger, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, schritten sic aus die große Brücke zu, begleitet von einigen Stabsoffizieren und hinter ihnen in einiger Entfernung ein Reiterregiment. Sic ließen sich mit dem Commandanten in eine Unterredung ein, zeigten sich erstaunt, daß man die Brücke sprengen wolle, da doch ein Waffenstillstand abgeschlossen sei, und gingen gemeinschaftlich mit dem verblüfften Offizier hinüber. Auch Fürst Auersperg selbst, der dazu kam, wurde durch das Märchen vom Waffenstillstand getäuscht. Unterdessen rückten französische Soldaten herbei, cntwaffneten die Oesterreichcr und besetzten die Brücke. Nun ging die Besitznahme der Hauptstadt ohne Schwierigkeit vor sich. Große Kricgsvorräthc wurden erbeutet, Contributionen ausgeschrieben, die Generale Llarkc und Daru mit der Verwaltung betraut.