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146 .4. Europa unter Bonapartischem Einfluß. stellte, wurden die Deportirten nicht begnadigt. Der Erste Consul war zu frieden. durch den „Senatus - Cousult" von dem „Generalstab der Jacobiner" befreit worden zu sei». Er sollte bald erfahren, daß ganz andere Leute ihm nach dem Leben trachteten. Die schlimmste Frucht des Mordanschlags waren die Spezialgcrichte. Durch ein Gesetz wurde der Regierung die Befugniß cin- geräumt. für besondere Fälle, namentlich für Straßenraub und Aufruhr. Aus- nahmsgcrichtc cinzuseßen. der gewöhnlichen Gerichtsbarkeit ein Tribunal aus Justizbcamte», Militärpcrsoncn und Beisitzern zu substituiren, das alle Staats verbrechen und Vergehen, die schleunige Schutzmittel erheischten, vor sein Forum ziehen und in abgekürzter Form ohne Geschworne aburthcilen konnte, eine Art von revolutionärem Sondcrgericht. ganz geeignet, der Willkürjustiz zum Werk zeug zu dienen. 2. Concordat und öffentlicher Unterricht. Bonapam Eines der wichtigsten Anliegen des Ersten Cousuls war die Wiederherstellung "H^-dcs christlichen Cnltus in Frankreich. Wenn auch selbst gleichgültig gegen jede Kirche, erkannte Napoleon doch die Nothwendigkeit der katholischen Religion zur Beruhigung des Staates. „Denn durch die Revolution war offenbar geworden, daß ein Volk, auch nachdem es alle Bande zerbrochen hat. nicht bestehen kann ohne Gott, und aus dem Blutstrvme. in welchem Schuldige und Unschuldige untergegaugen waren, stieg wie ein Morgenroth die Erinnerung an die altväter liche Kirche". Es gab sich eine Rcaction der Phantasie gegen die materialisti schen Lehren des achtzehnten Jahrhunderts im Volke kund, die in den Poesien Chateaubriand's ihren ergreifendsten Ausdruck fand. Bonaparte war scharf blickend genug, diese gehcimnißvolle Macht auf die Gemüther der romanischen Menschheit zu begreifen und sie für seine politische» Zwecke und Herrscherpläuc zu benutzen. Religiöse Gläubigkeit war dabei wenig in Mitwirkung; der Ge neral, der in der Atmosphäre der Revolution zum Manne gereift, der in den Augen der Mohammedaner als Verehrer und Nachfolger ihres Propheten gelten wollte, konnte keine innere Verwandtschaft zum Christenthum in sich fühlen. Ranke urtheilt ganz zutreffend, wenn er in den historisch-biographischen Studien bei Gelegenheit des Cardinals Consalvi sagt: „Gewiß selten hat ein Fürst alle positive Religion mit einer so selbstbewußten Gleichgültigkeit, so entschieden als etwas ihm Aeußerliches, als Material und Hülfsmittel angesehen. Er erklärte sich für das Christenthum, nicht weil es von göttlichem Inhalt sei, sondern weil eS diene die Menschen im Zaume zu halten, sic gute Sitten lehre, und ihren Hang zum Wunderbaren befriedige. Er hätte sich für Confucius und Mo hammed so gut erklärt wie für Christus. In Aegypten, sagte er, war ich ein Mohammedaner, in Frankreich bin ich ein Katholik. In dem Moment, als ihm die Zügel der Regierung zufielcu, hätte er vielleicht ebenso gut den Pratestan-