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90 Europa unter Bonaparti schein Einfluß. in Beziehung auf die Rechtsstellung im Staat und in der Armee dein Grundsatz der Freiheit und Gleichheit Geltung verlieh, und doch in der Beibehaltung des von Jourdan eingefiihrten Conscriptionsgesetzes die Selbstsucht der besitzenden Klassen schonte, von einer allgemeinen Wehrpflicht absah; der die Emigran- teulisten schloß, dennoch aber die derinaligen Besitzer der eingezogenen Güter in ihrem erworbenen Eigenthum nicht beunruhigte; der in das Chaos des Staatshaushaltes Ordnung zu bringen suchte, indem er durch geschickte Hände neue Systeme der direkten und indirekten Steuern ausarbeiten ließ, in der Bank von Frankreich dem Geldmarkt einen Mittelpunkt gab und zugleich die eroberten oder bekriegten Staaten des Auslandes für die Bedürfnisse der eigenen Regie rung heranzog. Alles schwelgte in neuer Lebenslust unter dem Schutze der Ge setze, der geordneten Verwaltung, der gesicherten Rechtspflege, einer allmächtigen Staatsgewalt, welche die bürgerliche Gleichheit anerkannte und den Willen des souveränen Volks als scheinbare Rechtsquelle der öffentlichen Macht gelten ließ; man vergaß im Taumel der Sinnlichkeit und der Genüsse, daß das nationale Sclbstregiment, der politische Idealismus der Revolution von einem Despotis mus verdrängt ward, der dem Absolutismus Ludwigs XIV. nicht nachstand. Aber dieser Bonapartischc Despotismus ruhte auf ganz andern socialen Grund bedingungen, die den Druck weniger fühlbar machten. Dem Talente, der Tä tigkeit, dem Ehrgeiz, war eine freie Ringbahn geöffnet, in der sich alle Kräfte und Anlagen entfalten konnten. 2. Marengo und Hohenlinden. E°nva >5di! Daß der Erste Consul nach Befestigung seiner Herrschaft der Nation als ""VA" Friedenbringer erscheinen wollte, ging auch aus seinen ersten Schritten gegenüber ,. England, dem Auslande hervor. Er schrieb eigenhändig an den König von England einen ^ Brief voll hochklingender Redensarten, worin er seinen Regierungsantritt an zeigte und die Hand zum Frieden bot. „Soll der Krieg, der seit acht Jahren die vier Welttheilc verheert, ewig dauern?" hieß es darin. „Wie ist es möglich, daß die beiden aufgeklärtesten Nationen Europas das Gedeihen des Handels, die innere Wohlfahrt und das Glück der Familien dem eiteln Begriff der Größe zum Opfer bringen? Sollten sie denn nicht begreifen, daß der Friede sowohl das höchste Bedürfniß wie der höchste Ruhm ist?" Eben so schrieb Napoleon an den Kaiser, dem er die früheren Beziehungen zwischen ihnen ins Gedächtniß zurückricf und die Herstellung des Friedens von Campo Formio anbot. Aber der ungewöhn liche Schritt, der in England überdies gegen die Verfassung verstieß, fand wenig Anklang. Eine kalte diplomatische Antwort, von dem Minister des Auswärtigen Lord Grcnville an Talleyrand gerichtet, hielt ein scharfes Gericht über die bis herige französische Politik der Eroberung und Propaganda, und erklärte, der einzige Weg zum Frieden sei die Wiedereinsetzung der verbannten Dynastie und