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II. Literatur». Geistesleben in, neunzehnten Jahrhundert. 999 Parini's Worte blieben nicht wirkungslos: in den cdlern Geniüthcrn, namentlich der Jugend, erwachte die Sehnsucht nach einer nationalen Wiedergeburt, daher auch die französischen Republikaner anfangs mit freudiger Begeisterung ausge nommen wurden, bis sich die Italiener überzeugten, das; das geträumte Glück und die ersehnte Freiheit nicht durch fremde Bajonette gebracht würde. Je mehr aber die italienischen Zustände während der französischen Herrschaft zwischen Un terdrückung und Freiheit schwankten und die Gefühle getheilt waren zwischen Stolz und Demüthigung bei dem neuen Waffenruhme italienischer Heere für eine fremde Sache, desto mehr behielte» die gespannten Gemüther Zeit, „die drückende Wirklichkeit mit ihren Idealen zu vergleichen und sich im Wechsel der heftigsten Leidenschaften zu verzehren". Doch blieb die französische Herrschaft nicht ohne wohlthätige Folgen, sie beförderte den Aufschwung der Nation, der auch noch fortdauerte, als Napoleon's Machtherrschaft gebrochen war und die auf dem Wiener Congreß geschaffenen Einrichtungen die geistigen und nationalen Re gungen niederhielten. An diesem Aufschwung hatte die Literatur keinen geringen Antheil. Die L-°paid> neue Romantik, die auf die große Zeit des italienischen Mittelalters hinwies, ^ belebte das Nationalgefühl und die vaterländische Gesinnung. Der klassisch ge bildete Graf Giacomo Leopardi aus der Mark Ankona, Platen's Freund und Gesinnungsgenosse, gab in seinem „Canto an Italien" und in seinen Betrachtungen über ein dem Dante zu errichtendes Monument diesen Gefühlen Worte, daher auch das Gedicht mit der größten Begeisterung ausgenommen wurde. Noch kräftiger und schwungvoller war sein „Canto an Angelo Mai", als dieser Cicero's Bücher cke repulllies. ausgcfunden hatte, ein Gedicht, das zu den edelsten Erzeugnissen der italienischen Lyrik gehört, in welchem der Dichter seinem ge preßten Herzen über die traurige Lage seines Vaterlandes und über die Ent artung der Zeitgenossen in klagenden und zürnenden Worten Lufr macht und zugleich durch die Hinweisung auf eine ruhmreiche Vergangenheit Muth, Stolz und Selbstvertrauen zu wecken sucht. Sein an hellenischer Weisheit und römi schem Repnblikanismus genährter Geist wurde durch den Druck äußerer Ver hältnisse, wenn auch niedergebeugt, doch nicht gebrochen. Leopardi's Dichtungen, der Ausdruck eines tiefen Natursinnes, zugleich aber eines gedrückten Gefühles und einer herben Mißstimmung über die Nichtigkeiten und Leiden des Lebens, tragen das Gepräge eines verdüsterten dem Pessimismus verfallene» Gemüthes, das seine Empfindungen und Stimmungen in melancholischen Klageaccorden mit großer Eintönigkeit aushaucht, eine Stimmung, die durch des Dichters krankhaften schwächlichen Körper gesteigert ward. Man hat Leopardi's Poesie ein „Erban- ungsbuch des Pessimismus", eine „Codification des Weltschmerzes" genannt. Aber indem darin die Leiden und Uebel der Gegenwart ergreifend geschildert sind, war seine Poesie für die muthigercn Mitlcbendcn zugleich eine Ermahnung zur „Auferstehung" aus dem Elend und der Noth der Zeit, ein Sporn zur Ab-