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V. Preußen und das deutsche Reich. 977 eigenen zahlreichen Schriften wie durch seine Schüler und Freunde eine Literatur zu begründe» oder zu erhalten suchte, die ihre Formen und Gesetze aus den klassi schen Vorbildern Frankreichs entlehnte, in der correctcn Rcgclrechtigkcit ihre Vor züge suchte. Wenn auch nicht ohne Verdienste und anregende Wirksamkeit, besaß doch Gottsched nicht die geistige Befähigung zu einer ästhetischen und kritischen Dic- tatur, wie er sie anstrebte. „Er war zu kurzsichtig und engherzig, zu sehr eigen mächtiger Pedant, um nicht alsbald bei den Einsichtigen mancherlei Bedenken, dann entschiedenen Widerspruch zu erregen und zuletzt sich Hohn und Verachtung zuzuzicheu." Eine Poetik, die im Wesentlichen auf eine „Anleitung Gedichte zu fertigen" hinauslief, bewegte sich auf einem zu niedrigen Standpunkte für eine strebsame Zeit. Brcitingers Dichtkunst hatte zwar auch kein hohes Ideal im Auge; doch stellte sie Gemüth und Phantasie über die Verstandesarbcit des säch sischen Aesthetikcrs. Ein Verdienst bleibt jedoch Gottsched unbestritten: er hat die Idee einer Gesammtliteratur gefaßt und die deutsche Sprache ausgebildet und in aste Kreise zu verbreiten gesucht. In dem Streben, die in den Curialstil fcstgc- frornc deutsche Sprache in Fluß und Bewegung zu bringen, hielt er mit Wolfs und Thomasius gleichen Schritt. Daß die Häupter der beiden Richtungen in einen heftigen Kampf gerathen würden, war vorauszuschen. „In den ersten Jahr zehnten des achtzehnten Jahrhunderts wurde Deutschland für die Literatur auf geregt, wie im sechzehnten Jahrhundert für die Religion. Flugschriften und Zeit schriften, Streitschriften über Poesie und Sprache vervielfältigten sich, ganz Deutschland gerieth in Bewegung; es entstand ein furchtbarer Krieg der Par teien, und was die freundlichen und friedlichen Musen nicht vermocht hatten, bewirkten die furchtbaren Emncniden." Der Ausgang dieses Krieges bezeichnet den Anfang einer neuen Periode der deutschen Literatur und Poesie, aus welcher die herrlichsten Blütheu entsprießen sollten. Ein Kreis von jüngeren Schrift stellern, zu dem Geliert, der Dichter vielgelesener Fabeln, Kirchenlieder und Schauspiele, Raben er, der Satiriker und Briefsteller und Zachariä der Verfasser komischer Heldengedichte gehörten, vereinigte sich zu einer literarischen Zeitschrift, „Bremer Beiträge" genannt und suchte neue Wege. Ihnen gesellte sich in der Folge Klopstock bei, der Bahnbrecher und Führer des großen klassischen Kunstlcbens in Deutschland. 2. Ausführungen. 1. Haller und Hagedorn. Der bedeutendste unter den Lehrdichtern, die As,"--?? wie Blockes in die Fußtapfen der Engländer traten, war Albrecht von Haller (geb. in Bern 1708, Professor der Medicin in Göttingen, gest. als Dircctor der Salzwerke zu Bex im Kanton Wallis 1777), einer der größten Gelehrten aller Zeiten und als wissenschaftlicher Schriftsteller (über Medicin und Botanik) nicht minder berühmt wie als Dichter, Romanschrciber und Gcschichtskenner. In dem historischen Roman „Usong" beschrieb er das Leben des Turkmancnsürsten Usunhasan fix., 258) wie Fenophon in der Kyropädie das Leben des Kyros. Haller war ein ernster, ja zuweilen finsterer Weber. Weltgeschichte. XII. 62