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952 V. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. Tage. Die Schwester eines Mecklenburgische» Edelmanncs, der in Stuttgart Kammer- junkcr geworden, Christiane Wilhelmine von Grävenitz, eine nicht ganz verblühte Schönheit, wußte durch Buhlkünste den sinnlichen Fürsten so sehr in ihre Netze zu ziehen, daß er sich von ihr völlig beherrschen ließ. Die Herzogin, die er einst unter großen Festlichkeiten von Durlach eingcholt, lebte verschmäht und verlassen in Stuttgart. Der Hofprcdiger, die Räthc, das ganze Land lagen dem Herzog an, das Aergerniß abzu- stellcn; sic erfuhren aber, „daß gerade widersprochene und verbotene Liebe am meisten reizt". Als endlich sogar der Wiener Hof sich einmischte und die Entfernung der DaM unvermeidlich ward, folgte der Fürst ihr nach Gent, um dort das Frcudenlcbcn fortzusctzcn. Als ihn die Geldnot!) zurücktrieb, ersann er ein anderes Mittel, die Geliebte in seiner Nähe zu halten. In Wien wurde ein verschuldeter böhmischer Graf von Würben auf getrieben, der sich für Geld und den Titel eines „Landhvfmeisters" zu einer Schcinheirath bereit finden ließ und bald nach der Trauung wegzog. Und nun folgten Jahre der tiesstcn Schmach und Erniedrigung. „Daß Damen die Welt regieren, war zwar in Stuttgart so wenig fremd als in andern Ländern, aber eine Mätresse, die den Minister spielte, im geheimen Nathe ihren Sitz hatte, Weib und Mann zugleich sein wollte, etwas dieser Art blieb selbst in der französischen Geschichte unerhört." Sie bewog den Herzog ein geheimes Staatseabinet zu errichten, in dem sie selbst und ihre Verwandten und Creaturen über alle Angelegenheiten entschieden. „Alles war bei ihr um Geld feil und Alles stand doch in ihrer Hand. Aenrter und Bedienungen erhielt nicht der Wür digste, sondern der Meistbietende." Wer der allmächtigen „Frau Landhofmeisterin Excellenz" nicht huldigen wollte, wurde, wie der Hofmarschall von Forstner, Eberhard Ludwigs Jugendfreund, der geheime Rath von Hespen u. a. abgesetzt und mit Anklagen verfolgt. Ihre Herrschsucht und ihre Habgier überstiegen alle Grenzen. Das treue biedere Volk wurde so gedrückt, daß sich Tausende durch Auswanderung nach America der einheimischen Noch entzogen und in der Fremde eine neue Heimath gründeten. Der Her zog, den die Gräfin in einer Verblendung hielt, „die man einer Zauberei hätte zuschreibcn mögen", überschüttete sie mit Gnadenerweisungen und Geschenken und gewährte alle ihre Wünsche. Cs ist eine bekannte Erzählung, daß als sie verlangte, in das Kirchen- gcbct cingeschlossen zu werden, der Prälat Osiandcr ihr zur Antwort gab: das geschehe jedesmal, wo man bete: „Erlöse uns vom Uebcl". Um ungestörter zu sein zog Eber hard Ludwig mit der Buhlerin nach Ludwigs bürg, das von der Zeit an als zweite Residenzstadt angesehen ward. Zwanzig Jahre dauerte die Herrschaft des schaamloscn Weibes. Als dem Herzog endlich die Augen aufgingen und er die durch Alter und Wollust häßlich gewordene Mätresse, deren Launenhaftigkeit und moroses Wesen uner träglich war, zuerst vom Hofe verwies und sie dann aus dem Lande jagte, hatten die Ucbelstände schon eine Höhe erreicht, daß sie unter seiner Regierung nicht mehr geheilt werden konnten. Bald nachdem die Gräfin mit Schätzen und mit dem Fluche des Volkes beladen das Würtemberger Land verließ, schied Eberhard Ludwig aus der Weit, nachdem er noch seinen einzigen Sohn Friedrich Ludwig hatte kinderlos ins Grab sinken sehen. Die Hoffnung, daß die wieder mit dem Gemahl ausgcsöhnte Herzogin einen neuen Thronerben gebären würde, erwies sich als trügerisch. „Die Würde der Geschichte scheint fast entweiht', bemerkt Spittler, „den Namen einer Frau erhalten zu müssen, deren ganzes Leben nichts als Entehrung und Raub war, aber die Geschichte darf sich keine andere Würde nehmen, als die von den Begebenheiten selbst, und leider hat un streitig diese Mätresscngeschichte einen recht universalhistorischen Einfluß auf den ganzen Zustand von Würtemberg gehabt." Aieeird-r Bach Eberhard Ludwigs Tod eilte sein Vetter Karl Alexander, Sohn des ins-ns?, früheren Administrators aus Belgrad, seiner Statthalterschaft herbei, um die Regierung